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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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worden, und du dankst dem Heiligen Geist dafür, dass du diese Gabe hast und es tun kannst. Und dann ziehst du los. Auf und hinauf und weit, weit fort!
     
     
    12
     
    Am liebsten waren mir aber die Geistertrips auf die Erde. Zurück zu meinen Wurzeln, zurück auf die stabile terra firma, das Festland, auf dem meine Väter starben. Das alte Romablut zog mich an wie ein Magnet. Wieder und immer wieder die Alte Erde, in willkürlichen Zeitaltern, zu vielen ihrer unzählbarer Völker.
     
     
    13
     
    Wo bin ich jetzt? In einer mauerumgürteten Stadt, die an zwei Flanken von zwei gewaltigen Wällen, an den beiden anderen von der See geschützt sind. Der Himmel ist klar, die Sonne stark. Und wer sind diese verbissen dreinblickenden langbärtigen Männer in Waffen? Ah ja, sie tragen das Zeichen des Kreuzes. Es müssen Kreuzritter sein. Die Stadt wird von den Sarazenen verteidigt. Und dort, diese dunkelhäutigeren Frauen und Männer in zerlumpten weißen Gewändern und Hemden am Rande des Feldlagers? Ich höre, dass sie Romansch schnattern. Oder doch in einem Dialekt, der klingt, als hätte er vor langer Zeit einmal Romansch sein können. Die Menschen drängen sich durch die Kriegsleute und bieten ihre Dienste an. Der eine da ist ein Hufschmied, und er schleppt seine Esse auf dem Rücken mit sich. Drei Steine für den Herd, einen Blasebalg, den er mit den Zehen bedient, Holzkohle als Brennstoff. Eine Feile, eine Zwinge, ein Hammer. Schwertfegen, edler Ritter? Eure Rüstung ausbessern? Und da, dieser andere, der Kupferschmied. Und dieses alte Weib dort, das aussieht wie unsere Phuri dai, sie macht ein dikkeripen und sagt die wahre Zukunft voraus. Ihr sollt sein ein gewaltiger Herr, unermessliche Ländereien werden euer sein, eure Söhne sollen sein Herzog und eure Enkel sollen sein König.
    Wir helfen den braven allerchristlichsten Kriegern ihre Schlacht gewinnen. Wir konstruieren ihnen eine gewaltige vier Stockwerke hohe Maschine, über die sie in die Stadt der Sarazenen eindringen. Das oberste Gewerk ist aus Holz, das nächste aus Blei, das dritte aus Eisen, das vierte aus Bronze. Doch die Maschine fängt Feuer, und die Angegriffenen jubeln. Also bauen wir ihnen eine Steinschleuder, die sie den ›Bösen Nachbarn‹ nennen, und eine Enterleiter, der sie den Namen ›Katze‹ geben. Und zwei Katapulte, die Tag und Nacht Steine in die belagerte Stadt schleudern.
    Ich schwebe über die Mauer und entdecke, dass in der Stadt ebenfalls Roma sind. Also dienen wir mit unserer Arbeit in diesem Krieg den christlichen Gaje und den sarazenischen Gaje. Wichtig ist die Arbeit. Die Streitfragen, um deretwillen sie einander bekriegen, erscheinen uns als absurd. Und so mischen wir den Sarazenen Kessel voll Griechischen Feuers – Naphtha und andere Stoffe, eine grauenvolle Waffe, die an der Haut festklebt und dich bei lebendigem Leibe verbrennen lässt –, und sie schleudern das über die Mauern auf die Kreuzfahrer hinab. »Allah akhbar«, brüllen die Verteidiger, und sie schauen uns erwartungsvoll an, also schreien auch wir: »Allah ist groß.« Und warum nicht? Allah ist groß. Denn GOTT ist groß unter jedem Seiner Namen. Und diese Toren von Gaje haben es darauf angelegt, sich gegenseitig umzubringen, um die Überlegenheit des Namens zu beweisen, den sie IHM jeweils geben. Und sie werden auch uns umbringen, wenn wir nicht die Worte sagen, die ihnen lieb sind. Na schön. Also ist Allah eben groß. Und Christus ist unser Retter. Wie immer sie es gern hören. Aber das EINE WORT lautet: ÜBERLEBEN.
     
     
    14
     
    Ein neuer Sprung. Wer kann hier überleben? Eine hässliche flache Landschaft. Anhäufungen von schmutzigem Schnee, kahle Bäume. Stacheldraht. Ein Gefängnis. Ich sehe Zigeuner in Sträflingskleidung, auf der linken Brust ein braunes Dreieck. Aber ein paar der Häftlinge tragen Violinen bei sich. Und sie wandern langsam von einem Bau zum anderen und spielen: Häftlinge mit Sonderprivileg, wandernde Unterhaltungskünstler. Es sind auch andere Häftlinge da. Sie spähen ohne Hoffnung aus dem Dunkel ihrer erbärmlichen Hütten. Hohle ausgemergelte Gesichter, trauerdunkle Augen voll Tränen. Sie lauschen den Zigeunergeigen.
    Ich gleite neben einen der Geiger und nehme sichtbare Gestalt an. Er, wirft mir einen merkwürdigen Blick zu, spielt jedoch weiter. Eine wilde traurige Melodie. Man kann mitsingen – oder in Tränen ausbrechen dabei. Er spielt eine Frage.
    »Sarishan«, sage ich. »Ich bin ein Rom.«
    »Bist du?« Kühl,

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