Zigeunerstern: Roman (German Edition)
Jeder Rülpser von mir versetzte ihn in Entzücken. Niemand hatte sich mir gegenüber je so devot verhalten, solange ich wirklich König war. Nach dem Betragen dieses Jungen hätte man glauben können, dass ich irgendein verwöhntes zerbrechliches adliges Reichsherrchen, ein bleichsüchtiger dekadenter Gaje-Prinz sei, und nicht ein wahrer echter Rom.
Nun, er war noch sehr jung. Und wenn er auch eindeutig zu meinem Volk gehörte, so musste ich mir doch klarmachen, dass er den größten Teil seines kurzen bisherigen Lebens in der Erhabenheit kaiserlicher Hofkreise verbracht, aber wohl nicht sehr lange mit seinem Stamm gelebt hatte. Vielleicht glaubte er deshalb, sich in der Gegenwart des ›Königs der Zigeuner‹ so benehmen zu müssen. Oder aber – Gott strafe die Vorstellung! – das Reich hat in diesen Tagen unsere jungen Roma dermaßen korrumpiert und verdorben, dass sie alle nur noch dienernd und hofknicksend umherlaufen und vor jedem Ranghöheren und Mächtigeren auf dem Bauch kriechen.
Zigeunerkönig, ha! Allein der Begriff war in sich schon nichts weiter als eine Gaje-Dummheit!
In den alten Tagen auf der Erde hat es niemals so etwas gegeben wie einen ›König aller Roma und Cinti‹. Das war weiter nichts als ein Märchen, ein Mythos, den sich die Zigeuner haben einfallen lassen, um die Gaje einzuwickeln – oder, ebenso wahrscheinlich, haben sie die Gaje das sogar selber ausgedacht, um sich das Denken zu vernebeln, denn das tun sie ja gern und oft. Sicher, wir hatten Könige, in großer Zahl, nämlich je einen für jede Sippe, jede kumpania, jeden umherstreifenden Trupp. Schließlich musste ja irgendeiner der Boss sein, das Oberhaupt oder so, jemand, der intelligent war, über Stärke verfügte und Gerechtigkeitssinn besaß, um innerhalb der Stämme die Autorität zu wahren und sie auf den Fahrten durch feindliche Gebiete mit andersartigen Gesetzen gegen alle Herausforderungen und Versuchungen zusammenzuhalten. Aber – ein König? Ein einzelner mit Machtbefugnissen ausgestatteter Zigeunerkönig, der über die Millionen umherziehender Menschen unseres Volkes, die über alle sechs Kontinente der Erde verstreut waren, herrschen sollte? So etwas hat es niemals gegeben.
Wir waren arm, damals. Der Abschaum unter den Völkern der Erde, das waren wir. Schäbige, dreckige Streuner, denen keiner einen Faden breit traute. Und weil sie uns so tief misstrauten – und uns fürchteten –, fanden die Gaje keine Ruhe und mussten unablässig herumbohren und uns unzählige absurdblöde Fragen stellen. Auf diese Weise versuchten sie, uns in ihre absurden, dummen und erbärmlichen Lebensnormen einzupassen. Wenn wir an einem neuen Ort ankamen, mussten wir um ›Aufenthaltsgenehmigung‹ ersuchen, uns Staatsangehörigkeits-›Papiere‹ besorgen, Pässe – einen Wust von widersinnigen ›Dokumenten‹. Uns nötigten diese Forderungen keinen Respekt ab, denn warum sollten wir uns einem Gesetz der Gaje unterordnen, wo unsere eigenen Gesetze doch ganz hervorragend funktionierten? Jedoch, die Erde war von Gaje besiedelt, und sie waren viele, und wir waren wenige, sie waren reich, wir lebten in Armut, sie besaßen die Macht, und wir hatten nichts … also spielten wir ihr Spiel mit und gaben ihnen – Antwort auf ihre Fragen. Wir sagten ihnen, was sie hören wollten, denn auf diese Weise ließen sich ihre idiotischen Fragen am einfachsten wirksam befriedigen.
Was sie vor allem zu hören wünschten, wenn einer unserer Trecks in eine ihrer Ansiedlungen kam, war, dass es bei uns einen ›Führer‹ gebe, einen Mann von hoher Autorität, der uns einigermaßen unter Kontrolle hielt – und der verhindern konnte, dass wir unser Chaos etwa in der Gemeinde wie eine ansteckende Krankheit verbreiteten. Und wenn die Gaje erkannt hatten, wer unser Anführer war, dann glaubten sie, sie hätten die wichtige Kontaktperson gefunden, mit der sie verhandeln konnten, und sie glaubten, sie hätten uns damit unter Kontrolle. Glaubten sie …
Wer hat bei euch das Sagen, fragten sie uns regelmäßig. Und wir, wir antworteten natürlich: Na, unser König (oder unser Herzog, Graf oder Zigeunerbaron, was ihnen eben als Titel am besten zu schmecken schien). Da, der Mann dort …
Und der König oder Herzog oder Graf oder Baron trat vor und beträufelte sie in ihrer eignen Sprache mit allem, was sie hören wollten. In der Regel war dieser Mann nicht einmal der wahre Anführer der Sippe. Der wahre Häuptling hielt sich meist im Hintergrund, damit ihn
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