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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Inthronisation des neuen Zigeunerkönigs mitzuerleben. Und dann zogen auch wir auf unserem Wege weiter, und keiner unter uns, in keiner Kumpania, verschwendete noch irgendeinen Gedanken an den ›König Karbaro‹. Aber die Gaje glaubten eben weiter fest daran, dass wir Untertanen eines höchsten Großkönigs und Herrschers wären, dessen Macht uneingeschränkt ist und dessen Befehle auf geheimnisvolle Weise durch Geheimkuriere durch die ganze weite Welt fliegen.
    Irgendwann kam einmal der Zeitpunkt, zu dem sie das nicht länger glaubten. Das war im zwanzigsten, vielleicht auch im einundzwanzigsten Jahrhundert der damaligen Zeitrechnung; damals wurden alle Erkenntnisse und alles Geheimnis auf einen Knopfdruck abrufbar, was dazu führte, dass jeder Kohlkopf sich einbildete, er wisse alles.
    Feierlich versicherten weltweit sämtliche Narren einander: Das sind die modernen Zeiten, das ist die Neue Welt. Und sie waren allesamt ungeheuer stolz darauf, diese schöne neue Welt durch ihr Dasein zu beglücken. Niemand war mehr unwissend, niemand hing mehr irgendwelchem Aberglauben an oder ließ sich von irgendwelchem aalglatten Gewäsch einlullen und zum Narren machen. So wusste beispielsweise zu der Zeit jeder ganz genau, dass es so etwas wie einen Zigeunerkönig nie gegeben hatte, dass die bloße Vorstellung von so etwas nichts weiter gewesen sei als geschickte Augenauswischerei und Betrug, nichts weiter als einer der unzähligen Gaunertricks, eine der Betrügereien, die sich diese umherschweifenden Diebe und Räuber – die Zigeuner – ausgedacht hätten, um die armen gutgläubigen Tölpel zu verwirren und zu umgarnen, die dann ihre Beute wurden.
    Diese bestens informierten Menschen der schönen neuen Welt hielten nicht nur die Vorstellung, dass es einen König der Zigeuner geben könne, für absurd, sondern – vermute ich – sie hörten auch auf, an die Existenz der Zigeuner überhaupt zu glauben. Es gab in dieser ihrer blitzblank gescheuerten modernen Welt keinen Platz für Zigeuner. Zigeuner, das waren Leute in zerlumpten Klamotten, ungekämmte, unangepasste, unzähmbare, unkalkulierbare Typen. Zigeuner – passten einfach nicht in das ordentliche Konzept.
    Also begannen sie sich einzureden, wir seien ausgestorben. Nichts weiter als eine folkloristische antiquarische Kuriosität – die zerlumpten-verlausten-zotteligen Zigeuner. Ach ja, doch ja, Zigeuner, die hat es früher einmal gegeben, vor langer Zeit, ganz ähnlich wie die Blattern oder öffentliche Hinrichtungen oder blutrünstige Religionskriege – aber all das war glücklicherweise inzwischen überwunden. Man lebte ja schließlich in der schönen neuen Welt. Und diese Zigeuner, sagten die gescheiten Leute, die wohnen heute alle in ganz gewöhnlichen anständigen Häusern wie alle, und sie sind anständig verheiratet und leben ein anständiges Leben wie alle übrigen anständigen Menschen auch. Sie gehen zur Wahl, zahlen Steuern, sie gehen in die Kirche und sprechen nur noch in der Landessprache. Die Zigeuner von früher, die sind allesamt fort, sagen die Gaje, die moderne Zivilisation hat sie in sich aufgenommen. Wie schade, was für ein Jammer, sagten sie, dass es die alten-malerischen-kuriosen Zigeuner heute nicht mehr gibt.
    Und zu eben diesem Zeitpunkt, gerade als wir für die ganze Welt der Gaje quasi zur Nichtvorhandenheit verblasst waren, weil wir scheinbar so völlig in ihr Gesellschaftssystem integriert zu sein schienen, dass sie uns einfach nicht mehr wahrnehmen konnten – gerade da kam der Punkt, an dem wir begriffen, dass wir uns richtig organisieren und als ein Volk in Erscheinung treten müssten. Damals begannen wir wirklich mit dem Aufbau unseres Zigeunerrates, der Regierung unseres Volks – und diesmal war es kein Lügenmärchen, sondern ganz klare, reine, reale Tatsache: Wir wählten zum ersten Mal echte Zigeunerkönige.
    Es war unabdingbar geworden. Unsichtbarkeit hat zwar gewisse Vorteile, doch manchmal hat sie auch recht unangenehme negative Folgen. Die Welt veränderte sich sehr rasch. Es waren jene Jahre, in denen die Gaje erstmalig ihre kleine Stammwelt zu verlassen begannen und die nähergelegenen Planeten ihres Systems zu erforschen suchten. Und wir wussten, dass es nicht lange dauern würde, und sie würden zu den Sternen reisen. Und wenn wir uns weiterhin unsichtbar machten, würden wir ins Hintertreffen geraten. Also mussten wir aus unserer Gaje-Tarnung hervorkommen. Denn hier lag für uns die einzige Hoffnung, je wieder nach

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