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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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die Gaje nicht als Geisel nehmen oder ihn sonst wie unter Druck setzen konnten, wenn ihnen grad der Sinn danach stehen sollte, was nicht selten der Fall war. Statt dessen schickten wir einen von uns vor, der so aussah, als könnte er ein König sein, irgendeinen hochgewachsenen Rom mit breiten Schultern und funkelnden Augen und einem langen wehenden Schnurrbart, der womöglich innerhalb der Sippe ein bloßer Niemand war, dem es jedoch Spaß bereitete, herumzustolzieren, mit dröhnender Stimme zu sprechen und den großen Mann zu spielen. Der erzählte dann den Gaje genau das, was sie hören wollten. Aber gewiss doch sind wir gute gesetzestreue Christen und führen nichts Arges gegen euch im Schild. Wir wollen hier nur ein Weilchen bleiben, euch eure Töpfe und Kessel flicken und eure Messer schleifen, dann werden wir weiterziehen.
    Und so verbreitete sich das Gerücht, wenn man es mit einer Zigeunersippe zu tun habe, die über die Ortschaft hereinbrach, dann müsse man den Stammeskönig finden – denn natürlich besitze jeder Stamm einen König – und mit diesem Abmachungen treffen; tat man das nicht, dann war es, als wollte man Verträge schließen mit dem Wind, den Wellen, mit dem Sand am Ufer. Und früher oder später fiel es den Gaje dann auch ein zu fragen: Gibt es bei euch nicht einen König der Könige, einen, der über alle eure Sippen und Völker herrscht? Und wir sagten ihnen bereitwillig: Ja, sicher, wir haben einen Großkönig. Warum hätten wir das nicht tun sollen? Es machte ihnen Freude, wenn sie das hörten. Und ihr Bedürfnis, derlei zu glauben, war gewaltig: Dass wir ein Volk seien, eine Nation, die verstreut war unter den anderen Nationen, dass wir einen König hatten, genau wie sie, dessen Worte bei allen Stämmen über alle Lande hin Gesetz war. Es kitzelte sie und jagte ihnen leise Furcht ein, wenn sie so etwas glaubten. Wir waren fremdartig und geheimnisvoll und unheimlich. Wir hatten eigene Sitten und Bräuche, eine eigene Sprache, wir erschienen und verschwanden im Dunkel der Nacht, und wir trieben Wahrsagerei, räumten Taschen aus und stibitzten Hühner, und wenn sich die Möglichkeit bot, stahlen wir hübsche kleine Gaje-Kinder, nahmen sie mit und machten Zigeuner aus ihnen. Und wir hatten einen König, der über uns herrschte und uns anführte in dem geheimen Krieg, den wir Zigeuner bekanntlich gegen die gesamte zivilisierte Menschheit führen. Solchen Unsinn glaubten die Gaje begierig, ja, sie brauchten diese aberwitzigen abergläubischen Vorstellungen sogar.
    Gaukle einem Gajo irgendeine phantastische Dummheit vor – und er macht sie sich zu eigen und schmückt sie aus, bis sie zu einer Über-Wahrheit aufgebläht ist. Wenn sich fünf von unseren Sippen an einem Ort versammelten, um ein Fest zu feiern, schlossen die Gaje unerbittlich daraus, dass es sich um die Wahl eines neuen Königs handle. Das geschieht doch dabei, nicht wahr? Ihr wählt euch einen neuen König? Und wir sagten dann immer mit todernsten Gesichtern: Ja, ja, unser alter König ist gestorben, und nun werden wir den weisesten und stärksten und besten Mann unter uns wählen, damit er über uns herrsche. Manchmal hielten wir sogar wirklich so etwas wie eine Wahl ab – wenn das uns nämlich irgendwie Nutzen zu bringen schien. Wir traten vor die Gaje und erklärten ihnen: Hier ist unser neuer König, der König Karbaro, der König Midjloli, der König Porado – oder wie immer der Name lautete. Das sind durchweg schmutzige Schmähwörter in Romansch, aber was hatten schließlich die Gaje schon für eine Ahnung davon? Je anrüchiger der Name, den wir erfanden, desto saftiger war für uns der Spaß. Und wir suchten uns aus der Sippe einen prächtigen hübschen Kerl aus, der über mehr Eitelkeit als Einsicht verfügte, und machten den einfach zum ›Zigeunerkönig‹, und dann stolzierte der umher und winkte und nickte und lächelte gnädig, und die Gaje waren dann stets furchtbar beeindruckt. Sie zahlten gutes Geld, um an unserem Krönungsfest teilnehmen zu dürfen, und sie zahlten noch einmal gutes Geld, wenn sie uns in unseren malerischen Stammeskostümen beim Tanzen und Singen fotografieren wollten, und während des ganzen Trubels glitten wir zwischen ihnen hindurch und erleichterten ihnen noch zusätzlich die Taschen – nicht etwa weil wir von Natur her ausgepichte Gauner wären, sondern um sie für ihre Narrheit zu bestrafen, weiter nichts. Und die Gaje zogen voller Stolz davon, weil es ihnen vergönnt gewesen war, die

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