Zigeunerstern: Roman (German Edition)
Hause zu gelangen. Die Erde war nicht unsere Heimat. Allerdings hatten wir nie gewagt, den Gaje zu sagen, dass unsere Heimat in weiter Sternenferne liegt, dass es unser tiefstes Streben ist, dorthin zurückkehren und unser Wanderleben endlich aufgeben zu können.
Und deshalb kam es dann doch dazu, dass wir Könige hatten. Das war vor etlichen tausend Jahren, auf dem Planeten Erde, in den ganz frühen Tagen der Interstellarfahrt, und bevor irgendwer wissen konnte, dass unser Volk dazu bestimmt sei, die Menschheit von der Erde weg, hinauf in die Himmel zu führen. Der erste König war Chavula, und nach ihm kamen Ilika und dann Terkari, und dann … – ach, was soll das, schließlich kennt ja jeder die Königsnamen. Aber sie waren es, die uns zu den Sternen führten, die uns zu dem machten, was wir heute sind: Meister mannigfaltiger Welten und Herren auf den Straßen der Nacht.
Und schließlich, als die Zeit reif war, traten sie an mich heran und sagten. »Der König ist tot, Yakoub. Willst du unser König sein?«
Was hätte ich sagen können? Tun können? Kein Rom, der bei Verstand ist, will ein König sein; und was für Fehler mir auch sonst anhaften mögen, bei klarem Verstand war ich wohl immer. Das dürft ihr mir wirklich glauben. Aber – ich bin auch ein Angehöriger meines Volkes und ein Mann, und auch wenn wir jetzt scheinbar über Macht verfügen, so etwas erlegt einem Mann denn doch eine gewisse Verantwortung auf. Ich wurde in der Verbannung geboren, im Exil, genau wie mein Vater, und auch meines Vaters Vater und die Väter vor diesen, über fünfzig Generationen weit, waren in der Fremde geboren. Und sollte ich wirklich der Mann sein, der diesem langen Exil ein Ende bereiten konnte, wie hätte ich es wagen dürfen, mich zu verweigern? Aber außerdem hatte ich mein ganzes Leben bis dahin in der peitschenschnurscharfen Erkenntnis des mir bestimmten Geschicks gelebt – und mein Schicksal war es nun einmal, König zu sein.
Als ich ein Kind war, nahm mich mein Vater mit zu dem Aussichtspunkt nahe dem steilen Gipfel des Berges Salvat auf Vietoris, meiner Geburtswelt, und er sagte zu mir: »Wo bist du zu Hause, Knabe?« Und ich sagte, mein Haus sei in der-und-der Straße in der großen Stadt Vietorion auf dem Planeten Vietoris. Und dann zeigte er mir das hellrot funkelnde Auge des Zigeunersternes, das auf der schwarzen Stirn des Firmaments brannte, und sagte zu mir: »Du glaubst also, das hier ist deine Heimat? Nein, Sohn. Dort ist die Heimat. Und eines Tages wird unser König uns dorthin zurückführen.« Und er blickte mich an, und der Ausdruck in seinen Augen verriet mir – stärker als Worte dies vermocht hätten –, dass mein Vater hoffte, ich möge dieser König sein. Ich hatte ihm nie etwas von den Visionen gesagt, die ich als ganz kleines Kind erfahren hatte, nichts von dem Gespenst des alten Weibes, das sich mir nahte und die Saat der Zukunft in meine Seele pflanzte; auch war es mir dort am Berghang unmöglich, ihm davon zu berichten, und so konnte ich meinem Vater nicht sagen: Ja, Vater, ja, ich will dieser König sein, ich werde uns heimführen, ganz gewiss, denn das Gespenst eines alten Weibes hat es mir so vorhergesagt und mir aus der Zukunft die frohe Verkündigung gebracht. Heute wünsche ich manchmal, ich hätte es ihm sagen können. Aber ich habe es weder ihm gesagt – noch sonst einem Menschen. Wahrscheinlich hofft der Vater eines jeden Roma-Jungen, dass sein Sohn der – Heimbringer sein werde. Mein Vater war zu der Zeit ein Sklave, und auch ich war ein Sklavenjunge, und kurze Zeit später, auf dem Marktplatz von Vietorion, wurde ich verkauft und von ihm fortgerissen, und ich sah ihn niemals wieder. Aber den Stern der Roma, den Zigeunerstern, den habe ich in jeder Nacht meines Lebens gesehen, von jedem Planeten aus, auf dem ich mich befand, und ich fühle diese warme Zigeunersonne auf meinen Wangen, warm in ihrem Licht, und wäre die Nacht noch so eisig; denn es ist das Licht unseres Heimatgestirns. Und wie unsere Leute dann zu mir kamen und sagten: Willst du unser König sein, Yakoub?, wie hätte ich da wagen dürfen, dies abzulehnen, wo ich doch vielleicht genau der König zu sein bestimmt war, der uns in die Heimat zurückführen würde? Also ließ ich zu, dass mir das Königtum übertragen wurde, und ich habe es zu angemessener Zeit auch wieder abgestreift, aber ich weiß, es wird mir zurückgegeben werden, weil es so sein muss, denn große Dinge harren ihrer Erfüllung und müssen
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