Zigeunerstern: Roman (German Edition)
war der krisatori o baro, der Gerichtspräsident, und Damiano wollte Blut sehen. Er führte sich dermaßen wild und zornig auf, dass er durchaus persönlich einer der Geschädigten des Belisoogra-Kartells hätte sein können. Nicht etwa, dass irgend jemand ihn dessen bezichtigt hätte. Schließlich sind wir zivilisierte Leute. Dennoch, Damiano ist von einem echten Abscheu beseelt, Geld zu verlieren, und er hätte wahrscheinlich keinen Interessenkonflikt darin gesehen, sich auch kaum für befangen erklärt, wenn er nun über den Mann zu Gericht sitzen musste, der ihm so etwas angetan hatte.
Ich hielt mich unsichtbar und schwebte durch den Gerichtssaal. Einmal sah ich mich zu der Stelle heraufblicken, an der ich schwebte, und ich überlegte mir, ob ich mich wohl sah. Ich konnte mich aber nicht erinnern.
Daran aber erinnere ich mich, dass der Prozess für Valerian einen schlechten Anfang hatte und immer übler für ihn wurde. Er schwor gewaltige Eide, dass seine Absichten lauter und ausschließlich humanitärer Art gewesen seien, was damals tatsächlich sogar der Fall gewesen sein mochte. Aber er hatte eine Menge Roma eine Menge Geld gekostet, und daran ließ sich eben nicht deuteln. Er bot Wiedergutmachung an. Na ja, das klang ganz gut. Doch Damiano drosch immer weiter drauflos. Wie es mit der Schwächung unserer Stellung unter den Gaje stehe, nachdem unser Belisoogra-Monopol zerstört sei? Wie der Angeklagte denn hierbei Wiedergutmachung zu leisten gedenke? Die Krisatoren nickten und murmelten. Alle Welt liebte Valerian, aber er hatte auch einen Haufen Feinde, und viele von ihnen waren die selben, die ihn liebten. Bei seinen vorherigen Freibeuterfahrten hatte er verschiedenen romanschen Kaufherren nicht geringen Schaden zugefügt. Alles in seiner üblichen beiläufigen, beinahe zufälligen Art und Weise. Die Krisatora waren ganz offenkundig auf seinen Kopf aus. Er wusste es – und alle übrigen wussten es auch.
Dann kam der solakh, die abschließenden Vernehmungen und der Spruch. Valerian wirkte gedrückt und düster. Er wusste was ihm bevorstand. Und das war etwas Schreckliches. Wir würden ihn aus unserer Mitte verstoßen, ihn für marhime, für ›unrein‹, erklären. Den Fluch aller früheren und jetzt lebenden Roma, aller Lebenden und Toten auf jeden schleudern, der fürderhin noch irgendwie mit ihm zu schaffen hatte. Dies hätte nicht bloß bedeutet, dass er der Geborgenheit in seiner familia verlustig ging, in der ganzen großen kumpania der Roma, sondern es hätte ihn auch seine Mannschaft und seinen Broterwerb gekostet und ihn der Vergeltung der Gaje ausgeliefert, die ja tatsächlich schon seit sehr langer Zeit versucht hatten, ihn in ihre Gewalt zu bekommen. Und als äußerste Strafe würde es für Valerian niemals eine Reise zum Zigeunerstern geben.
Wie ein Spuk schwebte ich über den Häuptern der Krisatoren, als sie sich zur Urteilsverkündung bereitmachten. Über dem Kopf Yakoubs, des Königs, hielt ich inne. Der König wirkte gelangweilt. Der König war gelangweilt. Solche Gerichtssitzungen hatten mich immer geschlaucht. Sie waren ein Pflichtenbereich, den ich nur allzu gern an andere delegiert hätte. Diese mittelalterlichen Verfluchungen eventueller Meineidiger, das endlose Breittreten des Beweismaterials, die öden Ergüsse von Schweiß und Elend und Unheil und Bedrückung und Jämmerlichkeit und Wehklagen – natürlich erkannte ich, wie richtig und wichtig das alles war – aber ich verabscheute es. Dennoch erfüllte ich meine Pflicht. Ich besitze ein starkes Pflichtgefühl. Aber das bedeutet ja nicht, dass ich Pflichterfüllung als Lust empfinden müsste.
Nur für einen Augenblick und nur meinem früheren Selbst gegenüber machte ich mich sichtbar.
»Übe Barmherzigkeit!«, flüsterte ich und kniff ein Auge zu. Und ich wirbelte wieder in einem Spuk-Ricochet, weiß der Himmel an welches ferne Ende der Zeit und welches ferne Ende der Galaxis. Als mir wieder klar wurde, wo ich mich befand, war ich wieder in meiner Zelle, saß auf meinem Lager und hörte im Geist zum achtzigtausendsten Mal Valerians Stimme sagen: Ich habe die versengten Berge gesehen … die zerschmolzenen Täler.
Der Spruch über Valerian lautete »Schuldig«, und die Strafe sollte die Verstoßung aus dem Volk der Roma sein. Abgeschnitten, ausgestoßen aus der Gemeinschaft, verbannt. Von nun an sollte es jedem Rom verboten sein, bei Strafe, auch nur ein Wort mit ihm zu sprechen, selbst seiner Mutter, selbst seinem Bruder,
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