Zigeunerstern: Roman (German Edition)
den Dieb!‹ «
Von Sekunde zu Sekunde sah er immer mehr aus, als werde ihn gleich der Schlag treffen. Ich gönnte mir blitzschnell die Wunschvorstellung, dass es mir gelingen möge, ihn hier in meiner Zelle dermaßen zur Weißglut zu treiben, dass ihn der Schlag traf. Doch nein, leider, Shandor war noch nie in seinem Leben derart entgegenkommend gewesen. Er röhrte statt dessen brünstig weiter über diese Krönungszeremonie, die er aufzuführen gedachte und bei der ich, seiner Überzeugung nach, selig-töricht lächelnd neben ihm stehen sollte, während er sich meine Krone aufsetzte. Denkste, mein Junge! Was für eine absurde, unverschämte Vorstellung von dem Kerl. Aber für eines erwarte ich wirklich so eine Art achtungsvolles Nicken von euch: Ich geriet nicht eine Sekunde lang in Zorn. Da hatte sich mein erstgeborener Sohn vor mir aufgepflanzt und wollte mir in echt Freudscher Ödipalfrustration an die Halsschlagader (oder so), und ich hörte mir das ganz gemütlich freundschaftlich an und schob nur ab und zu mal, wenn ihm die Luft ausging, das eine oder andere väterliche Scherzchen dazwischen. Ja, ich ging sogar so weit, ihm von Freud zu berichten. Es war ziemlich klar, dass er diesen Namen nie gehört hatte. Ein Gaje-Philosoph der Antike, erklärte ich ihm. Und dann tapste ich in meinen Anthropologie-Speichern herum und holte von da die archetypische Situation zwischen Ouranos und Kronos, Kronos und Zeus, David und Absalom und noch zwei, drei berühmte Vater-Sohn-Konfliktdramen hervor. Ich warf als Würze noch König Lear und seine drei Töchter in die Diskussion (obwohl ja diese Situation eigentlich nicht so recht auf die vorliegende unsrige passen wollte; aber so ganz abwegig war das ja doch nicht, oder?). »Also, willst du das?«, fragte ich Shandor. »Willst du mich zu einem bloßen archetypischen Wiederholungsfall reduzieren? Wie bittrer als der Schlangenzahn beißt doch ein undankbares Kind!« {8}
»Was quasselst du denn da rum?«, sagte Shandor. »Blöder alter Arsch!«
Ich lächelte ihn zuckersüß an. Am Ende bestand das Patt zwischen uns weiter … Ich blieb sein Gefangener … Er blieb im Besitz, einem sehr fragwürdigen Besitz, eines wackeligen Throns. Ihm zog wieder die heftige Röte ins Gesicht, und er begann erneut mit seinen wutschäumenden Drohungen, Mentiroso, er sagte es tatsächlich noch einmal. Alta Hannalanna. Und er wedelte mir wieder Trinigalee Chase unter der Nase herum. Also, wenn er im Ernst versucht hätte, mich nach Trinigalee Chase abzuschieben, er hätte mich vielleicht kleinkriegen können. Es erwies sich als ausgesprochener Segen, dass ich nie zu einem Menschen darüber gesprochen hatte, wie sehr ich diesen Ort verabscheute, und weshalb, und ich gedenke auch fürderhin, bis ans Ende meiner Tage, daran nichts zu ändern.
Shandors Drohungen begegnete ich mit ruhiger Gelassenheit. Er war einem Tobsuchtsanfall nahe, und so begann ich darauf zu achten, wie weit ich ihn treiben könne. Bei jedem Gegner kommt irgendwann der Punkt, an dem er gegen sein ureigenstes Interesse zu handeln beginnt, und von da an steckt man dann in der Scheiße. Sollte Shandor mich in einem Anfall unkontrollierbarer Wut umbringen, würde seine Stellung unter den Roma natürlich völlig haltlos werden dadurch – nur, leider, ich wäre dann trotzdem tot. Ich hatte zwar zu Valerian auf Xamur davon gesprochen, dass ich sogar als Märtyrer noch nützlich sein würde. Aber alles in allem stand das auf meiner Wunschliste keineswegs an oberster Stelle, ja, eigentlich stand es eher ziemlich weit unten.
Am Ende verschwand Shandor dann, giftspuckend und mich verfluchend. Und nun würde sich etwas tun, dessen war ich mir sicher. Als er mich in dieses rattenverseuchte Loch in der feuchten Oubliette gesteckt hatte, da hatte ihm das überhaupt keinen Vorteil gebracht, und als er mich hier, in diesem goldenen Käfig einsperrte, hatte ihm das auch nichts genutzt. Ich hatte in meinem Leben lange genug Zeit gehabt, langes Abwarten zu lernen, und Shandor begann allmählich zu begreifen, dass ich durchaus die Kapazität besaß, noch sehr viel länger zu warten. Er hatte es sich so ausgerechnet, dass ich ganz einfach nach einer Weile klein angekrochen kommen würde, dass ich ihm für sein angemaßtes Königtum meinen väterlichen Segen liefern würde, aber dann kam das plötzlich eben anders, und jetzt – so vermutete ich – rückte für Shandor das Ende seines Geduldsfadens nahe. Es war also durchaus vorstellbar, dass
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