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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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der Zigeuner, der Umhergetriebenen, der Wanderer, zu dem unser sehnsüchtiges Verlangen von jeher strebt. Da bist du.
    Ich zittere, und die rote Sonne bebt pulsierend mit mir.
    Mir will scheinen, ihre Färbung ist dunkler geworden, und strudelnde Wirbel ziehen über sie hinweg. Dies ist der Letzte Tag. Die Lufttemperatur steigt an. Ja, aber ja, die Rote Sonne ist wärmer geworden. Sie schwillt an, sie wabert und kreist und schwankt wie ein glühender Schmelztiegel. O Tchalai! O Netchaphoro! Dies ist der Augenblick! Ja, jetzt ist die Zeit gekommen, da unsere Sonne wie eine schwere Schwangere aufbricht, die Zeit des Zigeunersterns ist da! Zu Tausenden sind die Roma aus ihren Häusern gekommen, zu Millionen. Und sie stehen nun Seite an Seite mit mir auf den Straßen, sie verschränken ihre Arme in die Arme der Nachbarn, und sie schauen … schauen … und warten. Irgendwo beginnt jemand zu singen. An einer anderen Stelle nimmt ein anderer den Gesang auf. Und wieder jemand, und noch einer. Die Sprache, in der sie singen, ist mir unbekannt, aber es muss sich um eine frühe Urform von Romani handeln, wie ich es heute spreche. Ich kenne auch die Texte ihres Gesangs nicht, die Melodie ist mir fremd. Aber sie singen jetzt alle, und ich singe einfach mit ihnen. Ich werfe den Kopf in den Nacken, und ich öffne die Lippen, und aus meinem Herzen quillt auf einmal der Gesang. Und ich singe mit ihnen, laut und klar. Sekundenlang kann ich meine Stimme über den Stimmen all der anderen hören, dann verschmilzt sie mit ihnen zu vollkommener Harmonie, während die Rote Sonne über uns im Firmament größer wird und anschwillt und immer gewaltiger wird.
     
     
    12
     
    Dann der wahnsinnige Ruck, die gewaltsame Drehung, ein Schmerz, als werde man von etwas brutal weggerissen …
    … das Gefühl von Bewegung durch Zeit, durch Raum …
    Als ich die Augen öffnete, hatte ich den schweren Geruch von Verbranntem in der Nase. Als atmete ich Asche ein, als sei die Luft selbst versengt. Ich kam mir sehr verloren vor. Wo war das rote Glühen der Zigeunersonne geblieben? Vorbei und vergangen und dahin. Der Klang des Gesangs an jenem Letzten Tag hallte noch in meinem Kopf wider, aber wo waren die, die dieses Lied gesungen hatten? Und wo war ich? Warum war es mir nicht gestattet gewesen, bis zu ihrem letzten Augenblick bei ihnen zu bleiben?
    Aber vielleicht war das ja doch der Fall gewesen. Vielleicht war ich mit ihnen gestorben und war mit ihnen zur Hölle hinabgestiegen. War es so? Und war dies hier, wo ich mich jetzt befand, die Hölle?
    Ich war so weit umhergetrieben worden, war zu so vielen Orten gelangt … warum also nicht auch in die Hölle?
    Ich legte mich nieder, vielleicht war es auf einem Bett. Um mich herum standen Menschen, Menschen mit undeutlichen Gesichtern, die für mich keine unterscheidbare Individualität besaßen. Auch ihre Stimmen waren für mich nur ein undeutliches und ununterscheidbares Gemurmel. Meine Augen versagten mir den Dienst. Ich hörte nicht mehr exakt. Alles war für mich ein verwaschener Nebel. Aber – die Zigeunersonne war nicht mehr. Dies immerhin blieb mir als die einzige verlässliche Wirklichkeitsinformation. Der Planet der Roma war dahin und tot. Und dieser Gestank nach Verbranntem – dieser würgende, Übelkeit erregende Aschengeschmack, der mir mit jedem Atemzug in den Hals drang …
    »Yakoub?«
    Eine sanfte Stimme, weit weg. Aber, ich kannte doch diese Stimme … Das war mein kleiner Lowara-Roßtäuscher, mein Polarca.
    »Yakoub? Schläfst du?«
    Also doch nicht die Hölle. Es sei denn, Polarca war auch dort bei mir.
    Es gelang mir, ein entrüstetes Schnauben von mir zu geben, zu lachen. »Na klar, ich schlafe, du Idiot! Siehst du denn nicht, dass meine Augen offen sind?«
    Er beugte sich ganz dicht über mich, seine Nase berührte beinahe die meine. Und als ich ihn sah, da half mir das, auch die anderen klar zu sehen, alle diese verschwommenen Schemen, die hinter ihm standen: Meinen Vetter Damiano. Thivt. Chorian. Und noch mehr, weiter im Hintergrund, und es fiel mir nicht ganz so leicht, sie einzuordnen: Bibi Savina? Ja. Und das da, war das Syluise? Ja! Biznaga, Jacinto, Ammagante. Ja – waren die denn alle zusammen hier? Es sah so aus. Sogar Julien … der Verräter … an meinem Bett. Schön, ich würde ihm alles verzeihen. Er war doch mein Freund, also sollte er gern hier sein dürfen. Und wer war das dort? Valerian? Nicht Valerians Geistgestalt, sondern der echte, wahre, leibhaftige Valerian?

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