Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
Tausende und Abertausende fleischiger meergrüner Tentakeln; so dick wie dein Arm an den Spitzen, schenkeldick weiter unten. Im Abstand von ein paar Metern ragten sie aus dem Schnee bis zu fünf oder zehn oder zwanzig Metern Höhe auf und wogten und drehten sich hin und wieder langsam zurück wie schwere Stromkabel. Ihre gleitenden, glatten schwingenden Bewegungen waren voll einer sinnlichen Musik. Ich stellte mir vor, diese sich windenden, wogenden Wesen wisperten mir zu: Komm zu uns, Rom baro, komm her, komm zu uns, komm, auf dass wir dir den schönen schwarzen Bart kraulen! Komm, wir wollen dir Freude schenken, Rom baro!
    Als ich diese Szene zum ersten Mal erblickte, glaubte ich, dass es sich um die bloßgelegten Gliedmaßen einer gewaltigen Herde irgendwelcher fremdartiger Tiere handeln müsse, die von einem schrecklichen Schneesturm überrumpelt und dort begraben worden waren. An jenem Tag war der Geist Valerians bei mir, und ich sagte etwas dergleichen zu ihm, und er sagte: »Das ist mal wirklich eine sehr scharfsinnige Vermutung, Yakoub.« Womit er mir meist zu verstehen zu geben pflegte, dass ich mal wieder einen Furz im Hirn hatte.
    (Also, taktvoll ist Valerian nämlich nie. Er ist das schwarze Schaf unter uns Roma, ein altgedienter Weltraumpirat. Früher einmal war er Kapitän der Navy des Imperiums, bis er entdeckte, dass ihm die Piraterei mehr Spaß machte, und jetzt ist ein Kopfpreis auf ihn ausgesetzt; allerdings würde es mich außerordentlich erstaunen, wenn es jemals jemandem gelingen sollte, den einzukassieren. Als Nation missbilligen wir Roma selbstverständlich die Freibeuterei, zumindest in unseren öffentlichen Verlautbarungen, und so billigen wir auch das Piratengeschäft unseres Gevatters Valerian nicht, aber er betreibt sein Gewerbe mit soviel poetischem Charme, dass man einfach nicht umhin kann, ihn zu bewundern.
    »Sag mal, hast du so was je zuvor gesehen?«, fragte ich ihn. Aber da war er gerade mal wieder fort. Ich ballte die Faust und schüttelte sie gegen die Leere in der Luft, wo er sich zuvor aufgehalten hatte – als ein glühendes Glimmern. »He, du, Valerian! He, ist das der rechte Ort für mich, dieser dort! Dann bleib mal schön in der Nähe und schau, was ich damit anstelle!«)
    Das war vor einer Woche gewesen, oder vor zweien. Und jetzt war ich wieder hier, und zwar mit der Absicht, mich hier einzurichten. Die Tentakeln wedelten und wogten noch genauso herum wie vorher, wanden sich wie Würmer und waren grün und grämlich. Die nächsten hätte ich mit ausgestreckter Hand fast berühren und kitzeln können. Oder umgekehrt sie mich. Sie waren faltig und pockennarbig, und überall auf ihnen standen Reihen dunkler grüner Knötchen.
    Ich packte meinen Riemann-Projektor aus – der ist dermaßen praktisch, wenn man unerwünschte fassliche Materie auf nichtzugänglichen Orten deponieren will – und machte mich daran, mir meine neue Eisblase zurechtzuschnippeln. Doch zuvor musste ich mich natürlich vergewissern, dass ich nicht versuchte, mich in den Lenden irgendeines längstbegrabenen Berges einzunisten, oder mir eine andere, gleichfalls wenig erfolgversprechende untergetauchte Erscheinung der örtlichen Geographie vornahm. Außerdem wollte ich natürlich sowieso mehr über diese grünen Tentakeln erfahren. Also schaltete ich den Projektor auf Scanning-Intensität, wobei die Moleküle der örtlichen Geographie bequem aufgereiht und in einem Umkreis von fünfhundert Metern um mich herum die unmittelbar unter der Oberfläche liegenden Bereiche mehr oder weniger transparent wurden. Und dabei entdeckte ich, dass die zuckenden elastischen Dinger, die aus dem Schnee emporragten, in Wirklichkeit die Äste von Bäumen waren. Und die kleinen grünlichen Knötchen waren ihre Blätter. Ich stand direkt über einem riesigen Wald, der praktisch bis zu den Wipfeln im Schnee begraben lag.
    Bäume, o ja. Seltsam, schlank, verlockend gebogen, sich wiegend wie bezaubernde vielarmige Tänzerinnen, die auf geheimnisvolle Weise auf ihren Standorten auf der Bühne festgewachsen sind. Vielleicht waren sie sogar mit Intelligenz begabt. Ich nehme an, es störte sie nicht, dass sie so tief vergraben waren, denn Schnee ist ja ein recht gutes Isolationsmaterial, und die Lufttemperatur war zu dieser Jahreszeit unangenehm niedrig. Vielleicht, überlegte ich mir, steigen sie nur alle fünfzig oder hundert Jahre aus ihrem Schneegrab herauf – während einer Periode, die auf Mulano als Sommer gelten mochte, das

Weitere Kostenlose Bücher