Zigeunerstern: Roman (German Edition)
gegen fremde Eindringlinge und schützte so mein Haus. Und dann lachte ich und tanzte noch einen zweiten schnellen Tanz mit trommelnden Beinen und wirbelnden Armen: hootchka, pootchka, hoya zim! Yakoub! Yakoub!
Es war beinahe so, als säße ich wieder in meinem Haus der Macht, dem schimmernden Palast auf Galgala, in dem ich lebte, während ich König der Roma war und die Geschicke der Welten gestaltete. Ich entzündete die Lampen, ergriff das Zepter und stellte mich auf den Teppich, und wieder kamen sie zu mir, einer nach dem anderen, die Häuptlinge der Roma-Sippen und sprachen: »Ich bin Frinkelo – Ich bin Fero – Ich bin Yakali – Ich bin Miya« … und sie brachten vor mich ihren Streit und ihre Sorgen und ihre Träume. Denn wo immer ich bin, wird der Ort zum Sitz der Macht und ist mein Palast. Dies ist eines der tiefen Geheimnisse der Roma und die Erklärung dafür, warum wir Zugvögel sein können. Es ist nämlich nicht an dem, dass wir keine Wurzeln hätten, sondern es ist vielmehr so, dass jeder Ort, alle Orte, für uns ein und dasselbe sind, und wir strecken allüberall, wo wir sein mögen, die selben Wurzeln in den Boden, denn jeder Ort, an den wir wandern, ist der gleiche Ort: der Ort, der uns als nicht der Stern der Zigeuner, als nicht unsere Heimat gilt. Und deshalb kann ein jeglicher Ort für uns heimatlich werden, da nirgendwo die Heimat ist.
So lebte ich denn in der Stille und Abgeschiedenheit meines neuen Hauses am Rande des sonderbaren Waldes und genoss das Glück, nur mich selbst als Gesellschaft zu haben. Polarcas Geist kam, und Valerian, auch mehrere der anderen tauchten als nebelhafte durch die Zeit wehende Gestalten bei mir auf, um mir zu beweisen, dass sie mich noch immer liebten. Zwei- oder dreimal stellte sich die alte gescheite Bibi Savina ein, dieses wissenskundige, wohlmeinende schlaue Weib, das mir über die langen Jahre hin so viele vernünftige Ratschläge erteilt hat, nicht erst seit meiner Königschaft, sondern schon lange davor: denn sie war es, die als Spuk in meine frühe Kindheit geistgewandert kam, um mir zu verkünden, dass ich einst König sein würde und müsse. Jetzt sagte sie: »Das hier, das ist der rechte Ort.« Und sie kniff ein Auge zu. »Bleib hier, bis es nicht mehr der rechte Ort ist!« Es war angenehm, endlich einmal wieder eine Frau zu sehen, und sei sie alt – wie Bibi Savina. Verhutzelt und verkrümmt war sie, die Bibi Savina, und sie sah mindestens doppelt so alt aus wie ich, und dabei war ich doch beinahe alt genug, ihr Vater zu sein. Für die Mode der Remakes hatte sie nie etwas übrig gehabt. Und es wäre auch ziemlich schwer, sich Bibi Savina als Remake vorzustellen, etwa als blöd herumwackelndes gackerndes Junghuhn. Würde ich sie begehrt haben, wenn sie sich künstlich verjüngt und verschönt hätte? Aber natürlich waren mir ihr gegenüber derartige Gefühle nie in den Sinn gekommen, wie hätte es denn auch sein können? Abgesehen von allem anderen, es hätte einen entsetzlichen spektakulären Skandal heraufbeschworen – wenn man die bedeutende Rolle bedenkt, die sie in der Regierung spielte –, wenn ich sie auch nur mit dem Finger berührt hätte. Keine Missverständnisse, bitte! Natürlich freute ich mich, dass Bibi Savina mich besuchen kam, es freute mich sogar ungemein, aber andererseits wäre es mir doch auch recht angenehm gewesen, wenn mich während meiner Zeit auf Mulano jemand besucht hätte, dem ich ein bisschen mehr – Leidenschaft entgegenbringen hätte können. Weil es nämlich so ist, dass der Mensch – der in einem Iglu inmitten einer Eiswüste lebt – aus einem hübschen Brüstepaar und glatten Schenkeln hin und wieder auf wunderbare Weise viel Lebenswärme und Erleuchtung gewinnen kann. (Das sei widerlich und ekelhaft, meint ihr? Dass ein Mann in meinem hohen Alter so redet? Na, dann wartet es nur ab. Nur leider werdet ihr nicht so viel Glück haben wie ich; wenn ihr nämlich in meine Jahre kommt, falls euch das überhaupt gelingt, werdet ihr wahrscheinlich kaum noch so saftstrotzend sein wie ich!)
Es ist selbstverständlich nicht körperlich möglich, Geschlechtsverkehr mit einem Gespenst zu haben, aber wie ich schon andeutete, die Anwesenheit einer schönen Frau kann mit einigem Entzücken verbunden sein, selbst wenn diese Frau nicht greifbar ist. So wäre mir beispielsweise ein Besuch der eleganten, willfährigen und unentwegt schönen Syluise sehr willkommen gewesen, dieser ungewöhnlichen Frau, die seit viel zu vielen
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