Zigeunerstern: Roman (German Edition)
Jahren wie ein Alb über meinem Leben dräut … aber Syluise stattete mir keine Besuche ab. Es würde mich auch sehr überrascht haben, wenn es der Fall gewesen wäre, denn zu sooo viel Liebe ist der Charakter von Syluise nicht angelegt. Dennoch, Hoffnungen hatte ich natürlich immer noch – in gewissen Grenzen. Aus dem Sinn entschwand sie mir allerdings fast nie. Immer wieder ertappte ich mich tausendmal dabei, dass ich mich an sie auf unterschiedlichste Weise erinnerte. Etwa, wie sie wollüstig in eine Wanne voll leuchtendblauen Prot-Ozeans tauchte, der von – woher denn nur? Iriarte? Estrilidis? – stammte, und wie sie schimmernd und augenbetörend daraus wieder emporstieg wie Aphrodite. Und wie ich ihr das Zeug vom Leib leckte. (Oh – den Geschmack habe ich jetzt noch im Mund!) Ach, diese Hündin und Hure! Und wie habe ich sie geliebt. Ich liebe sie immer noch. Es wird immer so sein, dass ich sie liebe. Ich glaube, jedem Mann ist in seinem Leben vom Schicksal eine Syluise bestimmt. Sogar den Königen.
Meine Gespenster kamen, und meine Gespenster verschwanden wieder. Und manchmal, wenn sie mich allein ließen, schloss ich die Augen und war dann wieder auf Galgala, in meiner Hofburg, umringt von Wolken und Goldstaub, oder ich ließ mich in dem Lustmeer Xamurs treiben, oder ich befand mich in der Hauptstadt und schritt unter dem Schmettern von hundert Posaunen die weiten Kristallstufen zum Thronpodest des Fünfzehnten Kaisers hinauf, der sich erhob, um mich willkommen zu heißen und mir eine Schale Süßweins mit eigener Hand zu reichen. Mir dies, mir Yakoub, als ein Sklave geboren und dreimal als Sklave verkauft, und da stand der Kaiser, neben ihm der Herr Sunteil, und nicht weit entfernt die Herren Naria und Periandros – und sie alle begrüßten mich! Süße Träume, Wahrträume, glückliche Träume aus einem Leben, das kein Bedauern kennt. Und ich sagte mir, dass ich auf diesem Weg noch weitere hundert Jahre voranschreiten könnte, weitere tausend Jahre voll Lebens in dem hellen Schein meiner Erinnerungen und in vollkommener Zufriedenheit.
2
Und dann stellte Syluise sich doch noch ein. Oder eher ihr Geist. Ich kann nicht sagen, sie wäre aufgetaucht, in genau dem Augenblick, zu dem ich jegliche Hoffnung aufgab, denn ich hatte ja nie wirklich eine Hoffnung gehegt, sie zu sehen, sondern mich nur wehmütig-sehnsüchtigen törichten Wunschvorstellungen hingegeben, von denen ich von vornherein wusste, dass sie unerfüllt bleiben mussten. Und dann war sie auf einmal da, Syluise, und schwebte in goldener Glorie dicht vor mir in der Luft.
»Du hast mich wohl überhaupt nicht vermisst, wie?«, sagte sie.
Geliebte Syluise. Die Eröffnung wie gewohnt, unter die Gürtellinie.
»Ich habe die ganze Zeit über an niemand sonst gedacht«, erklärte ich feierlich. Es klang zugleich sarkastisch und verliebt. Was es nun wirklich war – wie hätte ich das wissen sollen?
Prächtig wogende elektromagnetische Wellen umflossen sie wie Nordlichter und bildeten smaragdgrüne, scharlachrote violette, goldene Lichthöfe. Inmitten all der Pracht sah sie hinreißend schön aus. Allerdings habe ich sie nie anders als hinreißend schön erlebt, gleichgültig zu welcher Jahreszeit, Tagesstunde und ungeachtet des jeweiligen geophysikalischen oder emotionalen Wetters. Denn dies ist ihre Besonderheit: eine dermaßen intensive Schönheit, dass sie völlig irreal wirkt. Sie ist sozusagen wie die Statue ihrer selbst.
»Es ist lang her, nicht wahr, Syluise?«
»Ich war viel auf Reisen.«
»Polarca sagt mir, er hat dich in Atlantis gesehen.«
»Hat er? Was für scharfe Augen er hat. Ich habe mich dort nach dir umgeschaut, aber du warst nicht da.«
»Ich habe in der letzten Zeit nicht gespukt«, erklärte ich ihr.
»Stimmt. Statt dessen vergräbst du dich im Schnee und hältst die Luft an, bis du blau im Gesicht wirst. Oder etwa nicht, Yakoub?«
Sie war dermaßen schön, dass ich es kaum ertragen konnte, sie anzuschauen. Eine fremdartige Schönheit, kein Hauch von einer Romul an ihr: Kaskaden schimmernder goldner Haare, tiefblaue Augen, lange schlanke Beine. Dabei ist sie eine Rom, das weiß ich genau, aber sie hat sich vor langer Zeit eine Gaje-Gestalt anpassen lassen – und die ist unveränderlich: ich kenne sie jetzt seit achtzig Jahren, und sie sieht um keinen Tag älter aus. Doch, ja, sie ist ihre eigene Statue.
Aber es steckt mehr in ihr als nur diese flirrende, sinnenbetörende Schönheit. Sie gefällt sich in
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