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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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deines Lebens. Diese Eisfelder, diese scheußlichen Schneestürme …«
    »Und der Frieden. Vergiss nicht den Frieden! Was spielt ein bisschen Schnee schon für eine Rolle, wenn man seinen Frieden hat?«
    »Aber diese abstoßenden grünen Dinger da? Was ist das überhaupt?« Seine Stimme verriet deutlich seine Abscheu. » Ces tentacules terribles. Ces poulpes terrestres, sind das etwa festeisbewohnende Kraken?« Er schüttelte sich, knapp und elegant.
    »Das sind Bäume.«
    »Des arbres? Bäume?«
    »Ja, Bäume.«
    »Verstehe. Und diese – Bäume, du findest, dass auch sie schön sind?«
    »Dieser Ort hier ist jetzt meine Heimat, Julien.«
    »Ah, aber natürlich. Verzeih mir, mon ami .«
    Wir standen immer noch beide am Fenster. Der Klang seines Geigenspiels hallte noch in meinem Kopf nach. Aber zugleich hörte ich auch das Echo meiner letzten Worte immer und immer wieder in mir: Dieser Ort hier ist jetzt meine Heimat, meine Heimat, meine Heimat …
    Einen Moment lang überlegte ich mir, ob ich ihn bitten sollte, mit mir vor die Tür zu kommen, damit ich ihm die Stelle am Firmament zeigen könne, an der in sternenklaren Nächten das rote Feuer des Zigeunersterns erglüht. Julien, würde ich zu ihm sagen, Julien, ich habe nicht die Wahrheit gesprochen. Dort ist meine Heimat, Julien, würde ich sagen. Aber dann dachte ich: Nein! Nein, er ist mir zwar ein lieber Freund, aber er würde es niemals verstehen können, und auf jeden Fall darf ich über solche Dinge nicht mit ihm sprechen, weil er zu den Gaje gehört. Doch, wirklich, er ist ein Gajo. Und dann dachte ich wieder daran, wie er auf meiner Fiedel diese Melodien gespielt hatte; und ich sagte stumm zu mir selber: Es gibt Augenblicke, Julien, in denen ich mir in Erinnerung rufen muss, dass du kein Rom bist.
     
     
    5
     
    Julien wirkte zerknirscht, wohl weil er sich so grob taktlos über Mulano geäußert hatte, und fragte mich ein wenig später, ob wir nicht zu einem kleinen Spaziergang vor die Tür gehen könnten, damit ich ihm die ›schöne Gegend‹ zeigen könne. Mir war natürlich klar, dass er die Schönheit der Gegend bereits höchst ausgiebig genossen hatte, als er sich von der Stelle, wo ihn die Relaiskapsel abgesetzt hatte, durch meinen ›Wald‹ einen Weg hatte bahnen müssen; aber das war eben seine Art, taktvolle Abbitte zu leisten. Wir gingen dann allerdings trotzdem noch hinaus, und ich zeigte ihm meine ›Bäume‹ aus der Nähe, machte ihn auf den gewaltigen Gletscherstrom aufmerksam und nannte ihm die Namen, mit denen ich die Berge bedacht hatte, die wie eine Zinnenmauer am Horizont aufragten. »Du hast recht«, sagte er schließlich. »Es ist sehr schön, Yakoub. Auf seine Weise.«
    »Auf seine Weise, sicher.«
    »Nein, ich meine das ganz ernst.«
    »Ich weiß, Julien.«
    »Lieber Freund. Komm, meinst du nicht, es ist Zeit für unseren löntsch? «
    Also gingen wir wieder hinein. Er begutachtete den Berg seiner mitgebrachten Gerichte lange prüfend, wählte schließlich eines aus und schnippte mit dem Daumen über den Starterschalter. Im Innern des Gefäßes setzte sich ein Kondensfilm ab, während der Inhalt sich erhitzte. Dann griff er in eine der Übertaschen und zog eine Flasche Rotwein heraus, deren Korken er vorsichtig mit beiden Daumen herausarbeitete. »Voilà, le déjeuner«, verkündete er. » Cassoulet en la manière de Languedoc, Kaninchenragout mit weißen Böhnen. Es war ein langer kalter Nachmittag, aber dies hier wird mir die Leben retten. Möchtest du gern Brot?« Wieder grub er in den Übertaschen und zog eine baguette heraus, die so knusprig-frisch war, als wäre sie vor einer Stunde in Paris gebacken worden. Dann war er damit beschäftigt, unser verspätetes Mittagessen anzurichten und zu servieren.
    Und dann setzte er unser vorheriges Gespräch fort, als hätte es da überhaupt keine Unterbrechung gegeben. »Ich glaube nicht, dass Sunteil deine Rückkehr fürchtet. Ich glaube, er hat eher Angst, dass du nicht wiederkommst.«
    »Polarca verficht die gleiche Theorie.«
    »Polarca? Ach, war er auch schon da?«
    »Sein Gespenst. Ist immer noch da. Hängt dir vielleicht gerade jetzt über die Schulter, während wir essen.« Dann schaufelte ich schweigend Löffel um Löffel des Cassoulets in mich hinein, spülte mit gargantuesken Schlucken Wein nach und belohnte Julien mit einem Rülpser von beachtlicher Resonanz und echt königlicher grandeur, um ihm zu beweisen, wie sehr ich sein Mahl genösse. »Das schmeckt einfach

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