Zigeunerstern: Roman (German Edition)
pflegt. Und später, eine ganze Weile später, fragte ich: »Wieso befasst sich der Lord Periandros mit mir?«
»Der Kaiser ist alt und gebrechlich.«
»Das ist ja nun wirklich nichts Neues, Julien.«
»Aber jetzt scheint sein Ende zu nahen. Ein Jahr noch, vielleicht zwei, aber viel länger kann er kaum durchhalten.«
»Na und? Dann sind eben die Roma nicht die einzigen, die Thronfolgeprobleme haben. Was gibt es sonst Neues?«
»Yakoub! Die Sache ist ernst! Wir haben drei Groß-Lords, und der Kaiser hat bisher noch keinerlei deutliche Präferenz für einen von ihnen gezeigt.«
»Das ist mir bekannt. Dann sollen sie doch losen und sehen, wer gewinnt.«
»Die drei sind aber sehr stark und sehr entschlossen. Und sollte der Kaiser sterben, ohne einen Thronfolger zu bestimmen, könnte ein Krieg um die Nachfolge ausbrechen.«
»Kaum«, sagte ich mit einem heftigen Kopfschütteln. »So etwas ist völlig unvorstellbar. Wo leben wir denn deiner Meinung nach, im finsteren Mittelalter?«
»Ich glaube, wir schreiben das Jahr 3159 der Alten Erd-Zeitrechnung, Yakoub, und wir leben in einem Großimperium von vielen hundert Welten, die auf dem Spiel stehen, und ich glaube außerdem, dass sich seit den Tagen der alten Cäsaren und der byzantinischen Kaiser keine wesensverändernde Wandlung in der menschlichen Psyche ereignet hat. Also wird Periandros nicht brav auf seinem – erhabenen Hinterteil sitzenbleiben und Däumchen drehen, während Sunteil sich den Thron holt, noch wird Naria taktvoll Periandros den Weg freigeben, noch …«
»Julien, es wird keine Kriege mehr geben. Die Menschheit hat sich gewandelt. Der Weg zu den Sternen hat das bewirkt.«
»Das glaubst du?«
»Krieg – das ist ein überholtes Konzept«, erklärte ich ihm großspurig. »So überholt und unnütz wie der menschliche Blinddarm oder unsere kleinen Zehen. In weiteren fünfhundert Jahren wird niemand mehr mit einem Blinddarm geboren werden, und keiner wird ihm eine Träne nachweinen. Und tausend Jahre danach, und es wird auch keine kleinen Zehen mehr geben. Und der Krieg – der Krieg ist jetzt bereits out. Das weißt du doch genauso gut wie ich. In dieser Zeit, auf dieser Stufe eines Galaktischen Imperiums ist Krieg einfach eine völlig überholte Sache.« Mein rhetorisches Pathos erhitzte mich und riss mich fort. Das ist immer ein Alarmsignal. Aber ich blies weiterhin mächtig viel Gas ab. »Es hat seit … seit … ich weiß nicht wann – hundert Jahren, vielleicht seit tausend Jahren, keinen echten Krieg mehr gegeben. Jedenfalls nicht mehr, seit die Erde mitsamt ihrem ganzen kläglichen Schrott und Müll den galaktischen Bach runtergegangen ist.« Inzwischen war ich ganz prachtvoll in Fahrt. »In der heutigen galaktischen Gesellschaftsstruktur sind Kriege ein Unding und undenkbar! Nicht nur undenkbar, sondern auch logisch unmöglich!«
»Da sei mal lieber nicht so sicher.«
»Warum bist du solch ein Pessimist, Julien?«
»Nur réaliste, mon ami. « Auf einmal schimmerte in seinen Augen eine so eisige glitzernde Kälte, dass ich sie kaum ertragen konnte. Er musste viel über dies alles nachgedacht haben. Das hatte ich zwar auch, aber immerhin, ich war seit fünf Jahren dem allem fern gewesen. Hatte ich mich zu weit von der Realität entfernt und begriff sie nicht mehr? Nein. Nein und nein! Julien sagte: »Ich glaube, Krieg als Möglichkeit lässt sich nur allzu leicht zu neuem Leben erwecken. Vielleicht eine gänzlich neue Art von Krieg, ein Krieg der Sterne vielleicht, aber genauso mörderisch und entsetzlich, wie es Krieg eben ist.«
Möglich? Nein, das ist ja alles purer Unsinn, dachte ich. Und ich lachte ihm ins Gesicht. Mein armer unheilwitternder Julien, tapste da im Labyrinth seiner krankhaften Weltuntergangsphantasien herum und ließ sich von Phantomen eine Scheißangst einjagen. Krieg? Zwischen den Sternen? Also, wenn guter Wein eine derartige Wirkung auf ihn hatte, dann sollte er wohl künftig doch besser Wasser trinken. Außerdem fiel er mir auf einmal mehr und mehr auf die Nerven.
»Dreh mal runter«, sagte ich. »Ich bin zu alt, als dass mir solcher Quatsch noch Angst einjagen könnte.«
»Dann beneide ich dich. Denn ich habe wirklich große Angst.«
»Wovor?«, schrie ich ihn an.
Er blieb ruhig, tödlich ruhig. »Das Vakuum ist zu groß, das sich durch das Fehlen einer klaren Machtnachfolge ergibt. Und ein Vakuum kann die Kräfte des Umsturzes befruchten, und je größer das Vakuum, mein Freund, desto stärker wachsen die
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