Zigeunerstern: Roman (German Edition)
köstlich, mein Julien. Und sollte ich in meinem nächsten Leben – Gott soll mich behüten! – als ein Gajo wiedergeboren werden, dann möge mir vergönnt sein, als ein echter Franzose in Frankreich zu leben und dreimal täglich so himmlisch speisen zu dürfen wie jetzt!«
»Der König der Zigeuner erweist mir durch so großmütiges Lob eine große Ehre, Yakoub.«
»Der Ex-König der Zigeuner, Julien.«
»Der Titel ist dein bis zu deinem Tod – oder bis die Richter des Großen kris dich formell absetzen. Deine Abdankung ist für die Roma-Regierung nicht verbindlich. Wie du recht gut weißt.«
»Ach, bist du inzwischen von einem guten Koch soweit heruntergekommen, dass du dich als Jurist betätigst?«, fragte ich.
»Du weißt doch auch, dass Probleme der Thronfolge mich persönlich sehr tief beschäftigen, Yakoub. Das ist meine eine und einzige große Leidenschaft, und ich bin von ihr bekanntlich geradezu besessen.«
»Oh. Und ich hatte immer geglaubt, deine eine große Leidenschaft sei das Essen«, replizierte ich, vielleicht eine Spur zu bissig. »Und geradezu besessen – nun, da war ich bisher immer der Überzeugung, dass dies bei dir irgend etwas mit Frauen zu tun hätte.«
»Du sollst dich nicht über mich lustig machen, Yakoub.«
Diesmal hatte ich ihn tatsächlich verletzt. Das tat mir leid, und ich sagte es ihm. Gewiss, er hatte vielleicht so seine kleinen hochstaplerischen Prätentionen, aber er war auch mein guter alter Freund und einer, den ich liebte.
Nach einer längeren Pause sagte er: »Keiner begreift, warum du zurückgetreten bist. Man sieht darin einen Verrat an allem, wofür du in einem langen, ehrenhaften Leben gearbeitet hast.«
Ich vermute, ich hätte mich ihm in diesem Augenblick erklären können. Glaubte er etwa, glaubte irgendwer da draußen, ich sei ohne Grund fortgegangen, ich hätte alles so ganz einfach aus Spaß und Bosheit fortgeworfen? Ich gestehe euch, die ihr dies lest, hier und jetzt ein, dass es für mich auf Mulano Augenblicke gab, da ich nachts schweißgebadet aufwachte und davon überzeugt war, dass ich mich wie ein Vollidiot betragen hätte. Doch im allgemeinen sah ich es nicht so und wollte schon ganz und gar nicht, dass sie die Lage so sähen, weder die Hohen Lords des Imperiums noch jene, die inzwischen die Großen unter den Zigeunern geworden waren. Glaubten die tatsächlich, ich sei dermaßen närrisch, launenhaft und verantwortungslos? Ich? – Sprich, Yakoub, erkläre deine Motive, verteidige dich! Hier ist deine Chance!
Doch mir hallte noch Syluises Gelächter im Ohr nach. Außerdem sagte ich mir mahnend noch einmal, dass dieser gute alte Freund hier bei mir ein Gajo sei, ein Vertrauter des Kaisers und außerdem auch noch im Sold des Lord Periandros stehe. Also sagte ich nur: »Macht, die man zu lange ausübt, wird schal. Julien. Du weißt doch, was geschieht, wenn eine Flasche Champagner zu lange offen herumsteht, nicht wahr?«
»Ich kann nicht glauben, dass derlei mit dir geschehen sein könnte, mon ami .«
»Wie lange war ich König? Vierzig Jahre? Fünfzig Jahre? Jedenfalls lange genug.«
»So sind also deine Pläne? Wirst du in diesen Eis- und Schneemassen hocken – verzeih mir, bitte, aber ich bringe es wirklich nicht über mich, die Gegend hier zu mögen, mein Freund –, willst du diesen unangenehmen grünen Fangarmen zusehen, wie sie sich windend und bebend auf dich zubewegen – den ganzen Rest deines Lebens über – und willst gar nichts mehr tun? «
»Für den Rest meines Lebens? Also, das weiß ich nicht. Aber bisher habe ich es getan, und es macht mir Spaß, es zu tun. Und genau das werde ich weiterhin tun, Julien, so lange, bis es mir keinen Spaß mehr macht, falls das je der Fall sein sollte. Falls!«
»Das verstehe ich nicht. Ein Augenblick des Überdrusses, Yakoub, ein Anflug von Gekränktheit, und du gestattest dir, alles von dir zu schleudern, was du …«
»Hör auf zu bohren, Julien! Ich weiß, was ich tue.«
»Weißt du es?«
»Ich weiß, dass ich mit dem Königsein fertig bin. Genügt dir das denn nicht? Verdammt, Julien, lass mich zufrieden!«
Ich schob meinen Teller zurück, trat an die Tür der Eisblase und starrte auf die sacht schwingenden Arme des Waldes hinaus. Ich lauschte auf das Ein- und Ausströmen meines Atems. Ich sandte kleine Grußbotschaften an meine Leber, an die Bauchspeicheldrüse, den Verdauungstrakt. Hallo, ihr da, ihr alten Freunde. Und meine Bauchorgane schickten mir kleine freundliche Botschaften
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