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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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dass wir Sklaven sind? Die Hälfte von ihnen sind ebenfalls Sklaven.«
    »Also warum dann …?«
    »Weil wir Roma sind, kleiner Bruder. Weil wir Roma sind.«
    So erwies es sich an jenem Abend als nötig, dass mein Vater mir sehr vieles erklärte, wovon ich bis dahin keine Ahnung gehabt hatte. Und nach diesem Abend war mein Leben für immer anders geworden.
    »Wir nennen sie die Gaje oder Gadschen «, sagte mein Vater zu mir. »Auf imperial heißt das soviel wie Narren, Bauerntölpel, Klütentreter, Trampeltiere. Ihr Gehirn arbeitet langsamer als unsres, und sie denken auf eine unbeholfene, schwerfällige Weise. Wir ziehen von eins auf fünf und drei und zehn, während sie sich langsam voranschleppen, eins-zwei-drei-vier. Aber natürlich sind ein paar unter den Gaje heller als andere. Der Kaiser ist ein Gajo, auch seine Hohen Lords sind Gaje, und die haben alle wahrhaftig einen ganz raschen Verstand. Doch in ihrer Mehrzahl sind die Gaje unbedarfte dumpfe Seelen, und wir hatten unter ihrer Blödheit stets zu leiden, vom ersten Tag an, da wir gekommen sind, bei ihnen zu leben. Denn sie begreifen immerhin soviel, dass wir schneller denken als sie. Das ist der Grund, warum sie uns früher unterdrückt und verfolgt haben und warum sie uns sogar noch heute fürchten und uns misstrauen, auch wenn die meisten von ihnen das natürlich bestreiten würden.«
    »Und gibt es viele von diesen Gaje?«, fragte ich.
    »Zehntausend«, sagte mein Vater, »auf jeden einen von uns. Vielleicht auch mehr. Wer könnte schon die Gaje zählen? Sie sind zahlreich wie die Sterne in den Himmeln. Und wir, wir sind nur sehr wenige, Yakoub. Wir sind nur wenige.«
    Mir schwamm der Schädel vor so vielen überraschenden Neuheiten. Wenn mein Vater die Straße hinabging, schritt er wie ein König dahin; und ich hatte wahrhaftig stets geglaubt, wir müssten Menschen von hohem Wert sein, auch wenn wir halt derzeit leider gerade mal Sklaven sein mussten. Und nun dieser ganze Schwall von Erkenntnis, dass ich zu einer zahlenmäßigen kleinen und unbedeutenden Rasse gehörte, dass wir Roma nichts weiter waren als verwehte Flocken weißer Gischt in einem riesigen Meer von Gaje, das traf mich mit betäubender Wucht. Vor meinem inneren Blick sah ich damals das Gesicht meines Vaters und die Gesichter der Vaterbrüder, wie sie sich abhoben und unterschieden in einer Menge von Gaje-Gesichtern, und zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie anders sie waren; anders im Schnitt der Kinnbacken, anders durch die Glut in ihren Augen, durch den schwarzen Schimmer ihrer dichten kräftigen Haare. Eine eigene Rasse, ein fremdes Volk. Viel fremdartiger noch, als ich es hätte ahnen können …
    »Du weißt doch, Yakoub, dass es einmal einen Planeten gab, der ›Erde‹ hieß?«
    »Erde? – doch ja.«
    »Nun, die Erde wurde vor langer Zeit vernichtet, zertrümmert, in Scherben ins All gefegt – durch die abgrundtiefe Dummheit der Gaje. Wir lebten früher einmal dort, wir und die Gaje, ehe wir uns alle hierher in die Welt der Sterne aufmachten. Damals nannten sie uns noch Zigeuner, Gypsies, ach, so viele andere Namen hatten sie uns aufgeklebt: Romanichel, Gitano, Tsigan, Zingaro, Mirlifiche, Karagho, Dutzende von Namen, denn sie hatten damals Dutzende von verschiedenen Sprachen. Denn sie waren einfach zu dumm und zu streitsüchtig, als dass sie sich nur in einer Sprache hätten verständigen wollen, also benebelten und betrogen sie sich selbst und gegenseitig durch viele Sprachen. Wir aber zogen mitten durch sie hindurch und blieben immer Fremde. Wir hielten uns nie lange an einem Ort auf, denn wozu wäre es gut gewesen? Niemand mochte oder brauchte uns. Alle verachteten uns, und alle waren sie unablässig dabei, Pläne zu schmieden, wie sie uns Schaden zufügen könnten; also blieben wir in der Nähe ihrer Ansiedlungen nur so lange, bis wir durch Betteln oder Wahrsagen oder Messerschleifen und Töpfereparieren ein paar Münzen zusammengebracht hatten – oder bis wir genug Nahrung gestohlen hatten, um für ein, zwei Tage überleben zu können –, und zogen dann weiter.«
    »Gestohlen?« Ich war entsetzt.
    Mein Vater lachte. Er legte mir seine gewaltigen Pranken auf die Schultern, packte mich auf die besondere feste, liebevolle Art, die ihm eigen war, und rüttelte mich sanft hin und her, während ich da so vor ihm stand. » Stehlen nannten sie das. Wir nannten es ernten. Die Früchte der Erde gehören allen Menschen, oder nicht, Junge? Nun, Gott hat uns einen hungrigen Magen

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