Zigeunerstern: Roman (German Edition)
unterschied; denn es wäre zweifellos eine Grausamkeit gewesen, hätte er mir so früh im Leben die Erkenntnis aufgezwungen, dass wir auf eine geheimnisvolle Weise von den Gaje abgesondert und etwas Besonderes waren, und dass es dabei keinerlei Beschönigungen und Kompromisse geben konnte, dass es zwischen den Gaje und uns überhaupt nichts Verwandtes gebe, dass wir von völlig anderem Blut seien. Nicht nur verschieden durch fremde Bräuche und Sprache, sondern durch die Beschaffenheit unseres Blutes selbst. Mir dieses dunkle Wissen zu vermitteln, dazu würde später noch Zeit sein.
Dies alles ereignete sich in der großen Stadt Vietorion auf dem Planeten Vietoris. Ich habe diese Welt nicht mehr besucht, seitdem mich meine Zweitbesitzer von dort wegführten, vor über einhundertundsechzig Jahren war dies, doch ich trage das Bild noch immer deutlich in Erinnerung: das erste Zuhause, der Ausgangspunkt. Der flirrende, golden und grün gestreifte Himmel. Die gewaltigen Wucherungen der Stadt – wie eine schwarze Mantilla über die zerknitterten Hügelzüge eines weiten Plateaus gebreitet. Die atemberaubende gezackte rote Lanze des Mount Salvat, die wie ein heftiger Trompetenstoß bestürzend steil über uns emporragte. Vielleicht war das ja alles überhaupt nicht so unendlich überwältigend, wie es mir in der Erinnerung erscheint, doch ich ziehe es vor, es so im Gedächtnis zu bewahren. Sogar das Haus, in dem wir lebten, scheint mir heute ein Palast gewesen zu sein: weiße, in der Sonne blitzende Ziegel, Räume und Räume, unzählbare, aus weiter Ferne leise Musik, schwer nach Moschus duftende gelbe Blüten überall im Innenhof. Konnte es denn wirklich so gewesen sein? Wir waren doch auf Vietoris – als Sklaven.
Nun, es gibt unterschiedliche Formen von Knechtschaft und Sklaverei. Mein Vater hatte unsere Familie zwar an die Volstead Factors verkauft, aber doch immerhin nicht unter Bedingungen, bei denen wir in Ketten hätten gehen müssen oder ausgepeitscht worden wären oder wo unsere Nahrung aus Resten und Abfällen bestanden hätte. Nein, unsere Knechtschaft war, wie unser Vater so oftmals sagte, eine geschäftliche Übereinkunft. Und wir lebten genauso wie andere, wie freie Leute auch. Mein Vater ging jeden Tag in die Sternenwerft, wo die gewaltigen bronzenasigen Schiffe der Company in den Hangars ruhten, und er arbeitete dort an ihnen wie jeder andere Maschinenbauer auch, und abends kehrte er nach Hause zurück. Meine Mutter unterrichtete in der firmeneigenen Schule. Meine Brüder und Schwestern und ich besuchten auch die Schule, aber eine andere. Sobald wir älter waren, würden auch wir für die Company arbeiten, und zwar in den uns zugewiesenen Funktionen. Unsere Nahrung und unsere Kleidung waren gut. Als Sklaven waren wir an die Company gebunden, konnten niemals für einen anderen Sklavenhalter arbeiten oder von Vietoris fortziehen, um uns anderwärts ein Auskommen zu suchen; auf diese Weise besaß die Company die Garantie, das für unsere Erziehung investierte Kapital zurückzuerhalten. Aber misshandelt oder schlecht behandelt, nein, das wurden wir nicht. Selbstverständlich hatte die Company das Recht, uns weiterzuverkaufen, wenn ihr das als angebracht erschien und sie keine Verwendung mehr für uns hatte. Das tat sie dann auch nach einer Weile.
Oft und oft schaute ich den Sternenschiffen nach, wie sie durch die Nacht stoben, wie sie am Nordhimmel kometenhaft aufleuchteten, bis sie die Geschwindigkeit erreicht hatten, bei der ihr Licht erlosch und sie den interstellaren Sprung über die Lichtjahre weg begannen, und ich sagte mir damals oft: »Dieses Sternenschiff fliegt dort oben, weil es unter den Händen meines Vaters in der Raketenwerft gebaut wurde. Mein Vater beherrscht die Magie der Sternenschiffe. Mein Vater, der könnte selber so ein Sternenschiff fliegen, wenn sie ihn nur ließen.«
Aber stimmte das auch? Nein, ich glaube nicht. Aber sogar damals bereits wusste ich, dass sämtliche Sternenschiffpiloten Roma waren: Oft sah ich sie stolz und gewichtig durch die Stadt stapfen – wuchtige schwarzhaarige Männer mit Roma-Augen in den blauseidenen, in den Schultern übertrieben ausladenden Uniformen, wie sie die Reichspiloten zu jener Zeit trugen. Aber das hieß ja nicht, dass sämtliche Roma-Männer auch Sternpiloten waren. Ich vermute, es war mir damals auch überhaupt nicht bewusst, welcher Unterschied besteht zwischen einem Sternenschiffpiloten und einen Sternenschiffmechaniker. Die Piloten waren
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