Zigeunerstern: Roman (German Edition)
Sklavenauktion funktioniert, stellte ich auch fest, dass Sklaven, die sich derart zu verbergen versuchten, in der Regel als Letzte, zu niedrigsten Preisen und an die knauserigsten Besitzer verkauft werden. Dem liegt die Theorie zugrunde, dass ein Sklave, der sich den Luxus von Schamgefühlen oder persönlichem Stolz erlaubt, ziemlich sicher auch in anderer Beziehung störrisch und ein Störfaktor sein wird.
Ein stumpfnasiges Metallgehäuse, das an eine Neutronenkanone erinnerte, senkte sich von der hohen Hallendecke herab und begann zu kreisen. An der Wand flammten rote Warnsignale auf, und dann begannen medizinische Lichtsonden über unsere Leiber zu gleiten. Entdeckten diese Strahlen irgendeinen Defekt, irgendwelche innerlichen Wundstellen oder Geschwüre, schlechtverheilte Knochenbrüche, Mangelfunktionen des Herzens oder der Lungen, so wurden diese sofort ausgemacht und erschienen auf dem Auktionsschirm zur Information der Kaufinteressenten.
Inzwischen liefen die Gebote ein, klick-klick-klick. Die Käufer hatten an den Wangen elektromyographische Terminals befestigt, die Versteigerung erfolgte mit Gedankengeschwindigkeit. Ein Zucken eines bestimmten Gesichtsmuskels bedeutete das Interesse an einem bestimmten Sklaven, ein anderer Muskeltic signalisierte das Gebot. Durch einen kurzen Hochvoltstich erhielt der Käufer den Zuschlag mitgeteilt, und so ging es Runde um Runde, bis die Auktion abgeschlossen war. Das Ganze hatte nicht länger als drei, vier Minuten gedauert.
Natürlich begriff ich davon oder von den Vorgängen damals überhaupt nichts. Alles rauschte langsam und seltsam unbeeindruckend an mir vorüber. Ja, es war wirklich wie in einem Traum. Aber manchmal sind es ja die heitersten, scheinbar harmlosesten Träume, die am stärksten tiefes Entsetzen in uns hervorrufen.
»Siebenundneunzig«, sagte ein kleiner Roboter. Ich drehte mich um, und die Maschine drückte mir den Stempel mit der Code-Nummer meines Käufers auf die Stirn. Und damit war ich verkauft.
Noch vor Einbruch der Nacht befand ich mich an Bord eines Sternenschiffes mit Kurs auf Megalo Kastro.
»Für wie viel bist du denn weggegangen?«, fragte mich ein hochgewachsener Junge mit einem breiten Gesicht.
Wir waren zu zehnt in einer Kabine. Ich war der jüngste. Ich starrte den anderen nur verständnislos an.
»Ach, der ist noch zu klein«, sagte ein anderer Junge, einer mit komischem, schlaff herabhängendem orangeroten Haar. »Der kann noch nicht lesen.«
»Kann ich doch!«, rief ich. »Glaubst du vielleicht, ich bin noch klein?«
»Ich bin für fünfundsechzig Cerces verkauft worden«, verkündete der flachgesichtige Junge.
»Ich für achtzig«, kam es von einem anderen, in dessen linker Wange ein strahlendgrüner Edelstein saß.
Der breitgesichtige Junge funkelte ihn böse an. Ich wünschte mir heimlich, dass sie auf einander losgehen würden.
»Aber wie kannst du deinen Preis wissen?«, fragte ich einen der anderen Jungen, ein kleines, stilles Kerlchen.
»Das steht in der Codenummer auf deiner Stirn. Und du brauchst einen Spiegel, um es rauszukriegen.« Er kam näher und schaute mich mit zugekniffenen Augen an. »Du hast einhundert gebracht.«
»Und mein Preis war einhundert«, sagte ich zu dem breitgesichtigen Jungen. »Was haste dagegen zu sagen?«
Und dann wandten sie sich mir allesamt zu und drängten sich an mich. Zuerst schauten sie zweifelnd drein, dann verärgert und dann ehrfürchtig. Ich warf die Schultern zurück, klatschte in die Hände und lachte. »Einhundert«, wiederholte ich. »Einhundert!«
Bis zum heutigen Tag bin ich darauf noch stolz. Selbst damals also muss jemand meinen Wert erkannt haben.
4
Meine Käufer waren Beauftragte der Bettlergilde der 63ten Loge auf Megalo Kastro. Mein Logenmeister hieß Lanista, und ich hauste mit vier anderen Jungen in einer Hütte. Ihre Namen waren Kalasiris, Anxur, Sphinx und Focale. Ich schreibe hier ihre Namen nieder, weil sie allesamt seit vielen Jahren tot sind und weil es ein Akt der Barmherzigkeit ist, die Namen der vergessenen Toten zu nennen, auch dann, wenn sie nicht zu deiner Sippe gehörten. Lanista war ein Rom, meine vier Hüttenkameraden waren es nicht. Ich vermute, ich erzielte nur deshalb einen so hohen Preis, weil jedermann auf einen Blick erkennen konnte, dass ich ein Rom war. Die Bettlergilde ist eine Gaje-Firma, aber sie versuchten sich möglichst viele Roma zu holen, weil sie uns für hervorragende Schnorrer halten. Das Betteln, so glauben
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