Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
sie, sei bei uns ein genetisches Erbe. Nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt, wenn ihr es genau wissen wollt.
    Ich kann mich zwar gut an Namen, Gesichter, Örtlichkeiten und alle anderen Einzelheiten erinnern, die in Zusammenhang mit meinem Verkauf in die Knechtschaft und damit die Trennung von meiner Familie standen, aber ich vermag euch nicht zu sagen, wie lange es dauerte, bis mir zum ersten Mal klar bewusst wurde, dass ich mein Elternhaus niemals wiedersehen würde. Manchmal entgehen sehr weitgespannte Muster der Aufmerksamkeit eines Kindes völlig, während Feinstrukturen für immer haften bleiben. Ich weiß heute nicht mehr, was ich über all das dachte, was mir da widerfuhr. Nicht mehr in die Schule gehen zu müssen, klar; verkauft zu werden, klar; in ein Sternschiff verfrachtet zu werden, klar; irgendwo weit fort zu reisen, klar. Aber – für immer und ewig? Ohne Wiederkehr? Von nun an für immer ohne Mutter, Vater, Brüder und Schwestern leben zu müssen? Ich kann mich nicht erinnern, dass derartige Vorstellungen mir damals Kummer bereitet hätten. Das einzige, was ich empfand, war ein wunderbares Gefühl, ein seltsames Gefühl eines fessellosen Dahintreibens. Flugsamen im Wind, treibend in jede Richtung, in welche dich die Luftbewegungen werfen.
    Aber ich bin ein Rom, das erklärt manches. Wenn wir uns an einem Ort zu lange aufhalten, fangen wir an zu rosten. Und so erwiesen mir die Sklavenmeister im Grunde nur einen Gefallen, indem sie mich losrissen. Indem sie mich in eine neue Versklavung steckten, befreiten sie mich von alten Fesseln. Sie stießen mich sozusagen auf die Straße, die zu gehen mir bestimmt war.
    Es gibt in der ganzen bekannten – also der von Menschen besiedelten – Ecke der Galaxis keine andere Megalo Kastro vergleichbare Welt. Der Name stammt aus dem Griechischen und bedeutet ›Große Festung‹ oder ›Hochburg‹. Griechisch, das ist auch eine jener ausgestorbenen Sprachen der Alten Erde. Und auf dem Planeten gibt es auch tatsächlich eine gewaltige steinerne Festung, die wie ein kauerndes wildes Tier oben auf einer zerklüfteten Klippe über dem Meer liegt. Allerdings wurde die Zitadelle nicht von Griechen erbaut. Sie wurde von niemandem erbaut, der auch nur entfernt sich als den beiden Menschenrassen verwandt hätte ausgeben können.
    Da brauchst du nämlich nicht mehr als ein Dutzend Schritte durch den Äquinoktialsaal oben in der Festung von Megalo Kastro zu gehen, dann wird dir das deutlich bewusst. Der Saal hat diesen Namen, weil zweimal jährlich das rotgoldene pulsierende Licht der dortigen Sonne durch eine gewölbte Öffnung genau im Augenblick der Tag- und Nachtgleiche die Spitze eines Altares am westlichen Ende der Halle trifft. Daran ist nichts besonderes Außergewöhnliches; schließlich haben auch bereits vor zwanzigtausend Jahren die Menschen des Erdpaläolithikums ähnliche Altäre errichtet.
    Was dir aber den Atem verschlägt, das ist die Geometrie der Äquinoktialhalle. Und ich meine das wörtlich. Geh ein paar Schritte durch den gewundenen Korridor aus grobbehauenen Grünsteinen – und du bekommst ganz bestimmte Atemnot. Es ist fast, wie wenn du über das Deck eines Schiffes in hohem Seegang gehst. Alles ist durcheinander, alles wirkt instabil. Du erwartest jeden Augenblick, dass die Wände auf dich zu oder von dir fort gleiten. Nach ein paar weiteren Schritten beginnst du zu schwitzen. Die zwanzig Meter hohe gewölbte Decke beginnt in Wellen zu schwingen – oder es erscheint dir doch so. Dann bekommst du pochende Augenschmerzen, weil du den Linien der Architektur nicht mehr zu folgen vermagst und deine Augen beständig den Fokus ändern müssen. Und so ist der gesamte Bau: fremdartig, bedrückend und – faszinierend.
    Niemand weiß, wer das gebaut hat. Aber da steht es: gigantisch, geheimnisvoll, Ehrfurcht und Furcht einflößend, halb in Trümmern – und gibt uns nichts von seinen Geheimnissen preis. Archäologen schätzen, dass die Tempelzitadelle fünf bis zehn Millionen Jahre alt ist. Viel älter, sagen sie, könne es nicht sein, denn Megalo Kastro sei ein Planet jüngeren Entstehungsdatums, und es ereigneten sich da beständig gewaltige geotektonische Veränderungen; und wenn man bedenkt, wie rasch dort Kontinente auftauchen und untergehen, kann dieses Kastell eigentlich nicht übermäßig alt sein. Dem Aussehen nach aber wirkt es, als wäre es eine Milliarde Jahre alt. In einem der Kellergewölbe sieht man die Umrisse einer einzelnen gewaltigen

Weitere Kostenlose Bücher