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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Überleben.
    Der anbrechende Sommertag berührte bereits mit seinen Rosenfingern den Horizont, als wir die Libelle endlich aus dem Hangar geholt und den alten Mann in die Pilotenkanzel verfrachtet hatten. Sein Atem ging flach, und die Augenlider flatterten. Die knorrigen Hände legten wir um die Steuerknüppel.
    Als der erste goldene Lichtstreif über dem Horizont erschien, warf Somps den Motor an. Ich klemmte mir das schmale Heckende des Flugzeugs unter den Arm, als hielte ich eine Lanze. Dann rannte ich los und stieß die Libelle in den dämmrigen Abgrund.
    MacLuhan, ich bin mir fast sicher, daß ihn der eisige Luftstrom, der ihm beim Absturz entgegenblies, für kurze Zeit wiederbelebte. Während die Maschine dem gurgelnden, schäumenden Colorado entgegenstürzte, taumelte sie plötzlich und bäumte sich auf wie ein lebendiges Wesen.
    Ein Gefühl sagte mir, daß Hillis, der Begründer der Moderne, zu neuen Kräften gekommen war und um sein Leben kämpfte. Ich glaube, er starb wie ein Held. Ein paar Camper drunten beobachteten, wie die Maschine auf die Wasseroberfläche aufschlug. Auch sie beschworen, er habe bis zum letzten Augenblick gekämpft.
    Den Rest kennst Du ja. Am nächsten Tag fand man das Wrack Meilen weiter stromabwärts im Mondial-Park. Vielleicht hast Du mich und Somps im Fernsehen gesehen. Ich versichere Dir, ich weinte keine Krokodilstränen, meine Trauer war nicht geheuchelt.
    Unsere Geschichte stellt den Vorfall so dar, wie er hätte passieren sollen. Daß Dr. Hillis darauf bestand, die Maschine selbst zu steuern, um den guten Ruf seiner Firma wiederherzustellen. Daß wir ihm ungern halfen, uns den Wünschen dieses bedeutenden Mannes aber nicht widersetzen konnten.
    Gewiß, es roch ziemlich nach Skandal. Allgemein wußte man von seiner schweren Krankheit, und die Autopsiemaschine wies Spuren von Drogen in seinem Körper nach. Zum Glück ließ sein Arzt verlautbaren, Hillis habe bereits seit Monaten Schmerzmittel genommen.
    Ich glaube, die meisten Leute sind davon überzeugt, daß er mit der Libelle abstürzen wollte. Doch wir müssen den heutigen Zeitgeist berücksichtigen, mein lieber MacLuhan. Was zählt, ist die erhabene Geste. Dr. Hillis kämpfte bis zuletzt, versuchte, die Maschine zu meistern, die den Beginn einer neuen wissenschaftlichen Epoche hätte bedeuten können. Er starb bei der Verteidigung seines guten Rufes.
    Somps und ich stießen auf viel Edelmut. Eine Menge Leute schickten uns Briefe. Manche verurteilten uns, weil wir der gefährlichen Laune des alten Mannes nachgaben. Doch meistens wurden wir gelobt, weil wir dazu beitrugen, ihm die letzten Augenblicke seines Lebens zu verschönern.
    Das letzte Mal sah ich Somps, wie er sich anschickte, zusammen mit Claire Berger nach Osaka zu fliegen. Ich fürchte, er ist immer noch nicht ganz frei von einer gewissen Bitterkeit.
    »Vielleicht war es das beste so«, meinte er, als wir uns zum Abschied die Hand gaben. »Von allen Seiten versucht man, es mir einzureden. Aber ich werde nie das entsetzliche Ende vergessen.«
    »Um die Maschine ist es schade«, erwiderte ich. »Wenn sich der Wirbel erst einmal gelegt hat, wird die Konstruktion sicher ein großer Erfolg.«
    »Ich werde mir einen neuen Sponsor suchen müssen«, entgegnete er. »Sobald ich jemanden gefunden habe, der den finanziellen Teil übernimmt, geht die Maschine in die Produktion. Leicht wird es nicht sein. Wahrscheinlich vergehen darüber Jahre.«
    »So ist das mit dem Yin und dem Yang«, versetzte ich. »Früher darbten Poeten in Dachstuben, während die Ingenieure und Techniker das Land beherrschten. Die Zeiten ändern sich, das ist alles. Wer gegen den Strom schwimmt, zahlt einen hohen Preis.«
    Ich wollte ihn aufheitern, erreichte jedoch genau das Gegenteil. »Sie sind so verdammt selbstgefällig«, schnauzte er mich beleidigt an. »Verflucht noch mal, Claire und ich bauen etwas auf, wir formen die Welt, wir bemühen uns um ein echtes Verständnis der Lebensprinzipien! Wir maniküren uns nicht nur gegenseitig die Fingernägel oder sitzen händchenhaltend im Mondschein!«
    Er ist ein Dickschädel. Wer weiß, vielleicht schlägt das Pendel eines Tages zurück, in seine Richtung, wenn er nur so alt wird wie Dr. Hillis. Bis dahin steht ihm eine Frau zur Seite, die ihn in seinen Ansichten bestärkt. Möglicherweise findet er sogar eine gewisse begrenzte Erhabenheit.
    Wie du siehst, mein lieber MacLuhan, hat die Liebe triumphiert. In Kürze kehren Leona und ich in mein geliebtes

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