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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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erleichtert.
    Während unserer nun zwanzig Jahre dauernden Freundschaft gab einer dem anderen nie Grund für Zweifel. Nun jedoch sind wir erwachsene Männer, die mitten im Leben mit seinen Komplikationen stehen. Ich fürchte, Du wirst auch die stumme Bürde meiner größten Streiche mit mir tragen müssen.
    Ich weiß, daß ich mich auf Dich verlassen kann, das Glück vieler Leute hängt von Deiner Diskretion ab. Aber jemandem muß ich mein Herz ausschütten.
    Die Schlafzimmertür war verriegelt. Der praktisch veranlagte Somps hob sie ganz einfach aus den Angeln. Wir stürmten hinein.
    Dr. Hillis war aus seinem Bett gefallen. Ein Blick auf die Instrumente, die auf seinem Nachttisch lagen, verriet uns sofort die tragische Wahrheit. Hillis, der sich von einem menschlichen Arzt behandeln ließ, hatte Zugang zu gefährlichen Drogen, die normalerweise sicher in Maschinen verwahrt bleiben. Mittels einer alten, von Hand zu bedienenden Injektionsspritze hatte er sich selbst eine kritische Dosis von einem schmerzlindernden Medikament verabreicht.
    Wir hoben den ausgemergelten Körper wieder aufs Bett. »Laßt mich sterben!« krächzte der alte Mann. »Für mich hat das Leben keinen Sinn mehr.«
    »Wo ist sein Arzt?« fragte ich.
    Somps, der einen gestreiften Baumwollpyjama trug, schwitzte heftig. »Ich sah ihn, wie er das Haus verließ. Ich glaube, der Alte warf ihn hinaus.«
    »Alles Blutsauger«, murmelte Hillis mit glasigem Blick. »Mir kann niemand mehr helfen. Dafür habe ich gesorgt. Laßt mich sterben, ich habe die Ruhe wirklich verdient.«
    »Vielleicht sollten wir ihn in Bewegung halten«, meinte Somps. »Ich sah so etwas mal in einem alten Film.« Der Vorschlag erschien mir vernünftig. Wir mit unserem begrenzten medizinischen Wissen konnten ohnehin nicht viel für ihn tun.
    »Idioten«, knurrte Hillis, als wir seine schlaffen Arme über unser Schultern legten. »Sklaven von Maschinen! Diese Codeschlüssel sind nichts weiter als Handschellen! Und das alles habe ich erfunden … den traditionellen Wissenschaften den Todesstoß versetzt.« Er begann hemmungslos zu schluchzen. »Seit Sokrates waren sechsundzwanzig Jahrhunderte vergangen – und dann mußte ich auf der Bildfläche erscheinen.« Sein Blick wurde starr, der Kopf wackelte hin und her. »Nehmt eure Hände von mir, ihr dekadenten Schleicher!«
    »Wir wollen Ihnen doch nur helfen, Doktor«, flehte Somps, der nervlich am Ende war.
    »Sie bekommen keinen Cent mehr von mir, Somps«, flüsterte der alte Mann heiser. »Das steht alles in meinem Buch.«
    Ich entsann mich, daß Leona von einem Buch gesprochen hatte, das im Falle seines Selbstmords veröffentlicht werden sollte. »O nein!« entfuhr es mir. »Das wird ein Skandal. Er wird uns und sich nur Schande bereiten.«
    »Keinen Penny, Somps. Sie haben mich bitter enttäuscht. Sie und Ihr blödes Spielzeug! Lassen Sie mich endlich los!«
    Wir legten ihn auf das Bett zurück. »Das ist ja schrecklich«, stöhnte Somps. Er zitterte am ganzen Leib. »Wir sind ruiniert.«
    Es war typisch für Somps, daß er in einem solchen Augenblick nur an sich dachte. Jeder mit der wahren Gesinnung hätte die übergeordneten Interessen der Gesellschaft im Auge behalten. Undenkbar, dieses Genie, diesen geistigen Titanen unserer Zeit unter solch elenden Umständen sterben zu lassen! Die Veröffentlichung seines Buches hätte niemandem genützt, sondern Millionen von Menschen nur Schmerz und Enttäuschung bereitet.
    Ich halte mir zugute, daß ich dieser heiklen Situation gewachsen war. Mein Geist erhellte sich in einer plötzlichen Inspiration. Es war der erhabenste Augenblick meines Lebens.
    Somps und ich führten eine kurze hitzige Diskussion. Vielleicht war die Logik nicht auf meiner Seite, doch ich obsiegte durch meine leidenschaftliche, überzeugende Beredsamkeit.
    Als ich mit Kleidung und Schuhen zurückkam, hatte Somps die Tür bereits wieder eingehängt und jeden Hinweis auf Drogen beseitigt. In fliegender Hast kleideten wir uns an.
    Unterdessen hatten sich die Lippen des alten Mannes bläulich verfärbt, und seine Gliedmaßen waren wie Wachs. Wir setzten ihn vorsichtig in seinen Rollstuhl und deckten ihn mit dem Morgenrock aus Büffelhaut zu. Ich lief voraus und gab acht, daß niemand uns sah, während Somps mit dem Sterbenden im Rollstuhl hinter mir herkam.
    Zum Glück schien der Mond und beleuchtete den Pfad zum Thron des Adonis. Es wurde ein langer mühseliger Anstieg, doch Somps und ich kämpften wie Besessene ums

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