Zikadenkönigin
Affen. Die geschärften Geister der Menschen werden all meine schönen Bilder in Stücke schlagen.« Die Kirche kehrte dem Philosophen weinend den Rücken.
De Maillet stützte sich auf seinen Stock. »Du hättest die Wahrheit nicht verbergen dürfen«, sagte er.
»Die Wahrheit!« rief die Ignoranz. »Oh, Sterblicher, die Wahrheit existiert nur im Kopf der Menschen. Ihr selbst habt diese große Veränderung in der Welt bewirkt. Das runde, behagliche Firmament wurde eurem Ehrgeiz zu klein. Nein, ihr wolltet Sterne im Newtonschen Raum haben und ganze Universen, die euren Gesetzen folgten! Jedes Gesetz und jedes Datum, das dem Großen Geheimnis entrungen wird, schwächt Gott und stellt den Menschen an seinen Platz! Ich sehe, daß mein Schicksal auf deiner Stirn geschrieben steht. Der Tag wird kommen, in einer gräßlichen Zukunft, an dem der Mensch alles umfassen kann, und seine Allwissenheit wird der letzte Schritt zu meiner Zerstörung sein. Sieh meinen Haß!«
Aus den Tiefen des Meeres brandete eine brodelnde Wassermasse aufs Land und schlug de Maillet nieder. Der Stock wurde ihm aus den Händen gerissen, und er roch den Schlamm. Während er geblendet im dunklen Wasser herumtappte, packte er einen runden Kieselstein vom Strand. Er kam spritzend wieder auf die Füße.
Seine Brille war weg. Er sah sich wild nach der Erscheinung der Dunklen Frau um. »So!« rief er und schüttelte den Stein in der geballten Faust. »Dies wird dich überwinden, Dunkler Geist! Dies ist der Beweis: Ich setze meinen Glauben und meine Hoffnung darauf, und in mir selbst …«
Ein dumpfes Brüllen kam vom Meer. De Maillet sah undeutlich, wie die Wellen zurückwichen und sich eine riesige Wand, in der helle Blitze zuckten, aufbaute, um auf das Land herabzubrechen. Der Sturm erfaßte ihn mit schrecklicher Gewalt, es knackte, donnerte und brüllte, als würden die Mauern des Himmels selbst unter einer Belagerung zerbrechen.
Keuchend, stolpernd, den Stein an sein pochendes Herz gepreßt, floh Benoit de Maillet in die tiefe Dunkelheit.
Ein reines, gleißendes Licht reizte die Lider des alten Mannes. De Maillet öffnete stöhnend die Augen und sah einen strahlenden Sommermorgen.
Plötzlich schob sich das Gesicht seines Dieners Torquetil vor seine Augen. De Maillet packte den jungen, livrierten Mann an der Schulter. »Torquetil!«
»Hurra!« rief Torquetil, der sich losmachte und freudig in die Luft sprang. »Er bewegt sich, er lebt! Mein Herr spricht zu mir!«
Er hörte rauhe Hochrufe. De Maillet setzte sich benommen auf. Eine bunte Versammlung von Hausdienern, Fischern und Städtern drängte sich um ihn. Einige waren mit halb abgebrannten Fackeln gerüstet. »Wir haben die ganze Nacht nach Euch gesucht«, sagte Torquetil. »Ich kam mit dem Wagen, sobald das Wetter sich verschlechterte, aber Ihr wart nicht mehr da!«
»Hilf mir auf«, sagte de Maillet. Der junge Bretone schob seine Schulter unter de Maillets Arm und half ihm auf die Füße. »Monsieurs Kleider sind durchnäßt«, sagte Torquetil.
De Maillet starrte kurzsichtig blinzelnd den Stein an, den er immer noch in der Hand hatte.
»Der junge Herr, der hier war, dachte daran, daß wir auch in den Lover's Rocks nachsehen sollten«, sagte Torquetil, indem er höflich auf den gut gekleideten Jean Martine den Jüngeren deutete.
»Es war nichts weiter«, sagte der junge Händler, der nähertrat. »Nachdem wir uns … äh … getrennt hatten, machte ich mir plötzlich Sorgen um Euer Exzellenz. Das Wetter verschlechterte sich ganz plötzlich, und ich dachte, Euer Exzellenz hätten vielleicht hier Schutz gesucht.« Er lächelte de Maillet wohlwollend an, offenbar erfreut über seine Findigkeit, als es darum ging, einen exzentrischen alten Mann zu suchen. »Die Felsen waren sehr hoch; im Wind und in der Dunkelheit verirrten sich meine Diener. Ich hoffe, Euer Exzellenz sind nicht verletzt.«
»Ich habe meine Brille verloren«, sagte de Maillet. »Torquetil, hast du meine Reservebrille?«
»Aber natürlich, Monsieur.« Er zog die Brille hervor. De Maillet klemmte sie sich hastig auf die Nase und studierte den von Wellen geglätteten Stein. »Bemerkenswert«, sagte er. »Wirklich bemerkenswert! Nun habe ich so lange die Ufer dieses großen Meeres erkundet und nur einen einzigen von dieser Art gefunden. Immerhin, diesen hier habe ich. Dieser wenigstens gehört mir.«
Torquetil blickte flehend zu Jean Martine; der Händler lächelte gequält. »Wir müssen Euer Exzellenz trockene Kleider
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