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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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beschaffen«, sagte er. »Mein Wagen wartet nicht weit entfernt auf der Straße. Er steht Euch zur Verfügung.«
    »Kommt, Monsieur«, sagte Torquetil übertrieben vorsichtig. Er senkte die Stimme. »Es ziemt sich nicht, daß die gewöhnlichen Leute Euch so sehen.«
    Hinter der kleinen Menge regte sich plötzlich etwas, und drei zerlumpte Kinder drängten sich nach vorn. »Wir haben ihn gefunden, wir haben ihn gefunden!« riefen sie. Eins von ihnen hob de Maillets Elfenbeinstock hoch.
    »Ausgezeichnet!« sagte de Maillet. »Gib ihnen eine Kleinigkeit, Torquetil.« Der Diener warf ihnen ein paar Kupfermünzen zu, und sie klaubten sie eifrig vom Boden auf. »Und was ist mit meinem Sonnenschirm?« sagte de Maillet.
    Torquetil machte ein trauriges Gesicht. »Leider, Monsieur, Euer wundervoller Sonnenschirm, so einmalig und so farbenprächtig! Der Wind, der schreckliche Wind hat ihn in Stücke gerissen; der Stoff ist fortgeweht, der Schirm ist verbogen.«
    »Ich verstehe«, sagte de Maillet. Er schwieg einen Augenblick lang, dann seufzte er schwer.
    Martine räusperte sich. »Wenn Euer Exzellenz geruhen wollen, das Warenhaus meines Vaters in der Stadt zu besuchen – vielleicht findet sich ein neuer Sonnenschirm für Euch.«
    »Nicht so wichtig«, sagte de Maillet unerschüttert. Er polierte den Stein an der Brust seiner nassen Weste und steckte ihn in die Tasche. Die Kinder, die ihn beobachtet hatten, deuteten mit den Fingern auf ihn und kicherten hinter vorgehaltener Hand.
    »Sie lachen«, bemerkte de Maillet. »Die Nachwelt wird lachen. Aber ich habe meine Antwort.« Er stützte sich schwer auf den Stock, dann wandte er sich zum Gehen. Torquetil half ihm den Hang hinauf. Plötzlich blieb de Maillet stehen und richtete sich groß auf. »Und wenn schon«, sagte er fest. »Wenn sie über mich lachen, dann weiß ich wenigstens, daß ich noch lebe! Nicht wahr, Torquetil?«
    Torquetil lächelte. »Wie Ihr wünscht, Gnädiger Herr.« Er klopfte etwas Sand von den Schultern seines Herrn. »Laßt uns heimgehen. Der Koch hat versprochen, daß es keine Currygerichte mehr gibt.«
     
    Originaltitel: ›Telliamed‹
    Copyright © 1984 by Mercury Press, Inc.
    (erstmals erschienen in »The Magazine of Fantasy & Science Fiction«,
    September 1984)
    Copyright © 1990 der deutschen Übersetzung
    by Wilhelm Heyne Verlag, München
    Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Langowski
     

Der kleine Zauberladen
     
    Die ersten Lebensjahre von James Abernathy waren voller böser Vorzeichen.
    Sein Vater, ein Zollinspektor in New England, hatte künstlerische Ambitionen: Er füllte seine Skizzenbücher mit moosbewachsenen, alten Puritanergrabsteinen und prächtigen neuen Walfängern aus Nantucket. Tagsüber schätzte er Ballen von importiertem Tee und Kattun; abends nahm er James zu Treffen seiner intellektuellen Freunde mit, die Portwein tranken auf ihre Frauen und ihre Herausgeber schimpften und James mit Bonbons fütterten.
    James' Vater verschwand auf einer Zeichenexpedition in den Bergen von Vermont; außer seinen Schuhen blieb nichts von ihm übrig.
    James' Mutter, nun als Witwe mit ihrem Sohn allein, heiratete einige Zeit später einen großen, behaarten Mann, der in einem heruntergekommenen großen Haus im Norden des Staates New York wohnte.
    Abends war die Familie oft zu gesellschaftlichen Anlässen im Albany eingeladen. Dort redete James' Stiefvater mit seinen Freunden in der Anti-Freimaurer-Gesellschaft über Politik, während seine Mutter und die anderen Frauen im oberen Stockwerk des Clubs sich mit Tischrücken beschäftigten und mit prominenten Toten sprachen.
    Mit der Zeit wurde James' Stiefvater, was die Pläne der Freimaurer anging, immer ängstlicher. Die Familie nahm an gesellschaftlichen Ereignissen nicht mehr teil. Die Vorhänge blieben zugezogen, und die Familienmitglieder hatten strikten Befehl, genau auf alle Schwarzgekleideten zu achten. James' Mutter magerte ab und wurde bleich und trug oft tagelang hintereinander nur ihren Hausmantel.
    Eines Tages las James' Stiefvater ihnen Zeitungsberichte über den Freimaurer Moroni vor, der ganz in der Nähe goldene Tafeln ausgegraben hatte, auf denen die Schöpfungsgeschichte der Moundbuilder-Indianer beschrieben war. Als er den Artikel vorgelesen hatte, zitterte die Stimme des Stiefvaters, und seine Augen zuckten wild umher. In dieser Nacht waren gedämpfte Schreie und heftiges Hämmern zu hören.
    Am Morgen traf der Junge seinen Stiefvater unten am Herd, wo er, noch im

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