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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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in einem dreckigen Wohnblock im historischen Bezirk des Renaissance Center.
    »Wo ist dein Bild, Mann?«
    »Kaputt«, log Turner. Er wollte seine alte Freundin nicht mit zwei Jahren vergangener Geschichte belasten. Er und Doris hatten zwei Semester in Toronto zusammengelebt, wo er CAD-CAM studiert hatte. Doris war Fahrzeugdesignerin, eine Überlebende des Rustbelt nach Detroits Zusammenbruch.
    Die Schule hatte Turner eine Gelegenheit verschafft, tagelang ungestraft die gleichen Jeans zu tragen, aber die Zeiten im Rustbelt waren hart gewesen, und Doris hatte von der Hand in den Mund gelebt. Am Ende hatte er die Rechnungen bezahlt, was ihm an sich nichts ausmachte (Böser-Cop-Kohle), aber Doris war ausgeflippt. Ihre Ausgaben waren von Monat zu Monat gestiegen. Er hatte schweigend ihre Rechnungen bezahlt, und sie war genauso schweigend ausgerastet. Schließlich hatte sie auf die neue Seidenbettwäsche gekotzt und war nicht mehr fähig gewesen, ohne eine Prise Koks die Post aus dem Briefkasten zu holen.
    Aber dann hatte er erfahren, daß sein Vater gestorben war. Er war mit seinem antiken Maserati frontal vor ein Wohnwagengespann gerast. Turner und sein Bruder hatten der Einäscherung im Nieselregen Vancouvers beigewohnt. Sie hatten die Urne auf den Familienaltar gestellt und waren vor den dünnen grauen Weihrauchfäden niedergekniet. Niemand hatte viel gesprochen. Auch nicht über Vaters Alkoholismus. Großvater hätte es mißbilligt.
    Bei der Rückkehr nach Toronto stellte er fest, daß Doris gepackt hatte und ausgezogen war.
    »Ich bin jetzt bei Kyocera«, erklärte er ihr. »Bei der Beratungsfirma.«
    »Du hast einen Job als Ingenieur, Turner?« sagte sie und strich sich eine zottige blonde Strähne aus der Stirn. »Das sieht dir ähnlich. Arme Leute stehen Schlange, damit sie Teller waschen dürfen.« Sie runzelte die Stirn. »Was hast du denn für eine Arbeitszeit? Es ist sieben Uhr morgens. Du hast mich ohne Video-Makeup erwischt.«
    Sie drehte die Kamera weg und ging aus dem Bild. Turner betrachtete ihre Wohnung: Betonklötze und Umzugskartons, billige Plastikstühle, abblätternde Wände mit Computerdrucken. Sie war immer noch im Netz. Wirkliche Netzfreaks gaben jeden Penny für Informationen aus.
    »Ich brauche Hilfe, Doris. Du mußt für mich jemand suchen, der eine alte IBM-Robotersprache knacken kann. Sie heißt AML.«
    »Yeah?« rief sie. »Zehn Prozent Vermittlung?«
    »Klar doch! Und bitte geräuschlos. Es ist nicht für Kyocera, nur für mich.«
    Er hörte sie aus dem winzigen Bad der Wohnung rufen. »Ich hab seit zwei Jahren nichts von dir gehört. Bist du nicht böse, daß ich damals abgehauen bin?«
    »Nein.«
    »Es war nicht, weil du Chinese bist. Ich meine, du bist ungefähr so chinesisch wie Ahornsirup, okay? Es war nur, daß mich dieses Leben verrückt gemacht hat.«
    Turner runzelte die Stirn. »Schon gut. Es war sowieso nicht so fest.«
    »Ich war damals verrückt. Aber ich hab mich in ein gutes Therapieprogramm eingeklinkt. Das hat wirklich Wunder gewirkt.« Sie kam zum Bildschirm zurück; sie hatte Rouge und Puder aufgelegt. Sie lächelte und berührte ihre Wange. »Das Zeug ist gut, was? Das benutzt sogar die Präsidentin.«
    »Du siehst toll aus.«
    »Ich muß für meine Therapie jeden Tag joggen. Also, was machst du so, Mann? Hast du 'ne Freundin?«
    »Nein.« Er lächelte. »Höchstens eine Prinzessin von Borneo.«
    Sie lachte. »Ich hätte gedacht, daß du inzwischen eine Familie gegründet hast. Mit einem Mädchen aus dem Villenviertel. Wie dein Bruder und diese Dingsda.«
    »Ist aber nicht so gelaufen.«
    »Du magst verrückte Frauen, Turner, das ist dein Problem. Weißt du noch, als deine Mom vorbeikam? Die ist auch meschugge, das ist der Grund.«
    »Meine Güte, Doris«, sagte Turner, »wenn ich eine Therapie brauch, besorg ich mir einen Download.«
    »Okay«, sagte sie verletzt. Sie berührte eine Fernbedienung. In einer Ecke des Zimmers schaltete sich ein Fernseher auf einen Kanal mit Videoclips ein. Doris sah nicht hin. Es war eine Reflexbewegung gewesen, und sie versank in der Geräuschkulisse wie in einem warmen Bad. »Hör mal, ich will sehen, was ich im Netz für dich finde. AML heißt die Sprache? Ich glaube, ich kenne einen …«
    BREAK
    Der Bildschirm wurde dunkel. Eine Meldung erschien: START (D)IALOGMODUS
    Die Zeile lief den Schirm hinauf. Dann kam eine Anfrage im hellgrünen Textmodus: WAS TUN SIE AUF DIESER LEITUNG??
    ENTSCHULDIGUNG, tippte Turner.
    PASSWORT

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