Zikadenkönigin

…«
    Unten in der Werft flammten Scheinwerfer auf.
    »Ich muß runter, sie werden mich gleich vermissen. Laß los, laß los!« Sie befreite sich rasch und widerwillig. Dann drehte sie sich um und rannte hinunter.
     
    In den folgenden Tagen arbeitete Turner wie ein Besessener. Er pfuschte eine Dateiverwaltung als Subroutine ins Programm und lernte dabei die Sprache. Er baute die Fortschritte jedes Tages ins Hauptprogramm ein. Wenn alles fertig war und er den überflüssigen Kram beseitigt hatte, würde sich das Ding selbst verwalten. Die Roboter würden übernehmen und Daten in Boote verwandeln. Dann wäre er fertig. Und seine trägen Tage in Brunei würden der Geschichte angehören.
    Nach seinem Job hatte er ursprünglich aus sentimentalen Gründen eine Reise zum Hauptquartier von Kyocera in Japan geplant. Er war durchs Netz rekrutiert worden; er hatte noch nie einen Angestellten von Kyocera in Fleisch und Blut gesehen.
    Das war so üblich. Kyocera bestand im Grunde nur aus Daten, nicht aus Materie. Ein moderner Multi war nicht gleichbedeutend mit Gebäuden oder Aktien. Sein Wesen war die Fähigkeit, auf einem Bildschirm aufzutauchen und eine spezielle Informationsart, die auch Geld genannt wurde, durch den Irrgarten der elektronischen Buchungssysteme zu jagen.
    Er hatte nie darüber nachgedacht; es war ein alter Hut. Aber da er nun Arbeit und Liebe dem Bildschirm anvertrauen mußte, fühlte er sich ausgebrannt. Er begann, nach langen nächtlichen Sitzungen am Bildschirm morgens Spaziergänge durch Brunei Town zu machen, um die verkrampften Muskeln zu lockern und seine Füße im Takt einer AML-Gleichung zu bewegen: TOGO = DMOVE(KNIE) + QPOSITION(FUSS).
    Er fühlte sich in den verlassenen Straßen wie ein Gespenst. In Brunei gab es kein nennenswertes Nachtleben und ebensowenig Räuber und Gewalttäter. Jeder hockte jedem anderen auf dem Schoß, jeder wusch seinen Nachbarn den Pelz und stand im Morgengrauen zum Gekreisch der kampong- Hähne auf. Die Leute tratschten, wenn man sich als Räuber versuchte. Und es dauerte nicht lange, bis man nachts arbeiten und verfaulte Mangos essen mußte.
    Wenn der Regen ihn am frühen Morgen erwischte, was öfter geschah, suchte er in einer Ecke der Bushaltestelle Zuflucht. Die Bushaltestellen waren hohe, wassergefüllte Glasröhren, eine trübe grüne Brühe mit Algenkulturen und fetten, trägen Karpfen.
    Er dachte daran, einfach zu bleiben, für ewig in Brunei geborgen, wie ein Karpfen hinter warmem Glas. Wie einer der kleinen Bonsai-Bäume in dem engen, gemütlichen Topf, mit Leuten, die auf einen aufpaßten und einen in Schwung hielten. Das war Brunei: das wirkliche Asien – eine wundervolle Gemeinschaft, immer Leute unterwegs, immer beobachtet …
    Aber war der Westen besser? Alte Leute wurden in überfüllte Altenheime gesperrt, steigende Arbeitslosigkeit, niemand wußte, wann er durch Roboter oder Expertensysteme überflüssig wurde … die Leute sprachen übers Fernsehen und kannten nicht das Gesicht ihres Nachbarn …
    Konnte er wirklich den Westen aufgeben? Seine Familie aufgeben und seine Karriere ruinieren? Es war die verrückteste romantische Geste, die man sich denken konnte, dachte er, denn selbst wenn er tapfer oder dumm genug war, alle Regeln zu brechen, Seria würde es nicht tun. Seria würde nie ihrem adat entkommen. Der Königsfamilie anzugehören, das war schlimmer als die Triade.
    Pläne wirbelten durch seinen Kopf wie eine Fehlerschleife, die als Ergebnis immer Null lieferte. Er saß benommen herum und sah die Fische im trüben Wasser kreisen. Er kam sich vor wie Strandgut und fragte sich, ob er verrückt wurde.

 



Staatsrat Brooke kaufte das Boot. Er tauchte eines Nachmittags plötzlich mit seinem ergebenen Gefolge in der Werft auf. Sie brachten Kübel mit Erde und kleinen Bäumen mit. Sie schleppten sie sofort ins Gewächshaus und rannten eilig die Trittleiter zum lackierten Deck hinauf.
    Brooke beaufsichtigte eine Weile das Stauen und prüfte einen Belegungsplan, den er aus der Seitentasche seiner weißen Seidenjacke zog. Dann deutete er mit dem Daumen auf die verglaste Front des Rechenzentrums. »Lassen Sie uns raufgehen und reden, Turner.«
    Brooke hatte freundlicherweise sein Hörgerät dabei. Sie setzten sich auf zwei krachende, angeschimmelte Drehstühle. »Es ist ein gutes Schiff«, sagte Brooke.
    »Danke.«
    »Ich wußte, daß es gut werden würde. Es war nämlich meine Idee.«
    Turner schenkte Kaffee ein. »Das paßt zu Ihnen«, sagte