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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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getrotzt hatte, sah er seine Arbeit in einem neuen Licht. Es war etwas Größeres als nur ein Notausgang. Es war eine Sache, die er um ihrer und seiner selbst willen tat: es ging um seine Würde.
    Und nun paßte sich für ihn alles ins Bild ein, und er empfand die Wärme absoluter Stimmigkeit. Er gähnte und kuschelte seinen Kopf ins Sackleinen.
    Er würde hier leben und ihnen helfen. Brunei war eine neue Welt, eine Welt, die nach menschlichen Maßstäben gebaut war. Hier kam es auf die Menschen an. Nein, hier gab es keine CAD-CAM-Elite mit Tonnen von Waren und kilometerlangen Computerausdrucken; hier gab es keine technische Perfektion in heroischen Dimensionen.
    Aber trotzdem war es eine gute Arbeit. Ein Mann war kein Idiot, wenn er für Menschen statt für Abstraktionen arbeitete. Die grünen Technologien verlangten sogar mehr Intelligenz, mehr Vernunft, forderten die wahre Begabung eines Ingenieurs stärker heraus. Denn sie stemmten sich gegen die blinde Eigendynamik eines toten Jahrhunderts mit seinen rostenden Monumenten der Arroganz und Verschwendung …
    Turner versank schläfrig in der kratzigen Behaglichkeit der Reissäcke, während eine Vision verblaßte. Irgendwo in ihm löste sich ein versteckter Knoten auf, eine Spaltung und eine Anspannung verschwand und brachte ihm eine neue, tiefe Erleichterung. Und wie immer wanderten seine Gedanken kurz vor dem Einschlafen zu Seria. Irgendwie würde er auch damit fertigwerden. Er war noch nicht ganz sicher, wie, aber das konnte warten. Jetzt, da er blieb, war alles anders. Es würde schon gut werden. Er war auf dem richtigen Weg.
    Als er einschlief, hörte er das Rascheln einer kampong- Katze , die hinter den Säcken eine Ratte packte und zerriß.
     
    Am nächsten Morgen weckte ihn ein Stauer. Sie brauchten den Reis. Turner setzte sich auf. Er war verkatert, seine Zunge war belegt. Sein T-Shirt und seine Hose waren mit Mehl bestäubt.
    Brooke war schon da. Sie luden Vorräte auf sein Schiff: Säcke mit Reis, getrocknete Früchte, organischen Dünger. Turner warf sich lächelnd einen Sack über die Schulter und stolperte die Laufplanke hinauf.
    Brooke überwachte die Ladearbeiten von seinem Klappstuhl aus. Er war unrasiert und zupfte nervös auf einer bunten akustischen Gitarre herum. Er fuhr erschrocken auf, als Turner ihm den Sack vor die Füße warf.
    »Gott sei Dank, daß Sie hier sind!« sagte er. »Sie dürfen nicht gesehen werden!« Er packte Turner am Arm und zog ihn über das Deck ins Gewächshaus.
    Turner folgte ihm widerwillig und stolpernd. »Woher wußten Sie, daß ich kommen würde?«
    Brooke schloß die Tür des Gewächshauses. Er deutete durch eine mit Tau belegte Scheibe zum Kai. »Sehen Sie den kleinen Mann mit dem schwarzen songkak- Hut?«
    »Yeah?«
    »Er ist vom Ministerium für Islamisches Bankwesen. Er war gerade in Ihrem kampong. Er hat Sie gesucht. Große Neuigkeiten von den Gnomen in Zürich. Sie sind jetzt ein vermögender Mann, Junge.«
    Turner verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. »Ich habe mich entschieden, Tuan Staatsrat. Ich bin ausgestiegen. Aus allem. Aus meiner Familie, aus dem Westen … ich will das Geld nicht. Ich lehne ab! Ich bleibe hier.«
    Brooke ignorierte ihn. Er wischte mit dem Ärmel einen Fleck in der Scheibe frei. »Wenn die ihre Haken in Ihr Fleisch schlagen, Junge, dann kommen Sie hier nie mehr raus.« Brooke sah ihn beunruhigt an. »Sie haben doch nichts unterschrieben, oder?«
    Turner sah ihn finster an. »Sie haben mir überhaupt nicht zugehört, was?«
    Brooke tippte vor sein Hörgerät. »Was? Diese verdammten Batterien … Hören Sie, ich habe Reservebatterien in meiner Kabine. Wir gehen rüber, dann können wir reden.« Er hielt Turner zurück, öffnete die Gewächshaustür einen Spaltbreit und rief im Dajak-Dialekt einige Befehle zu den Arbeitern hinüber. »Kommen Sie!« sagte er zu Turner.
    Sie benutzten eine zweite Tür und schlichen ein kurzes Stück über das offene Deck, dann ging es eine Sperrholztreppe hinunter in den Mittelrumpf.
    Brooke nahm die weiche Decke von seiner Koje und hob eine alte Reisetruhe heraus. Er zog einen klimpernden Schlüsselbund aus der Tasche und schloß auf. Unter unordentlichen, verknitterten Hemden, seinem Rasierzeug und Haarspraydosen war der Koffer bis zum Rand mit elektrischer Konterbande vollgepackt: Coax-Kabel, Multiplexer, Buffer und Converter, glänzende, originalverpackte Steckkarten, Schwingungsdämpfer, die in schwarze Verlängerungskabel gewickelt waren.

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