Zipfelklatscher
nackert siehst!«
»Jaja, ist schon gut, ich fahr dann gleich weiter nach Rosenheim.«
Damit ist das Gespräch für eine Weile beendet, auch wenn ich mich insgeheim frage, wieso man sich für einen eingewachsenen Zehnagel die Hose ausziehen muss.
Ich spüre die Vibration des rückwärts rollenden Schiffsmotors, die dicke MS Berta beschreibt einen Kreis, und nimmt Kurs an der Südseite der Insel vorbei. In den letzten Tagen sind um unseren Biergarten herum Blumenkissen aufgeblüht, die gelben und weißen Wolken leuchten weithin sichtbar. Tourigrüppchen spazieren daran entlang, Hunde an der Leine, Buggys vor sich herschiebend, bleiben davor stehen, fotografieren.
Auch mein Vater sieht wirklich Eins-A aus heute, Lederhosen, weißes Leinenhemd, und vor allem: Haferlschuhe statt Pantoffeln. Wie das mit seinem Zehnagel zusammengeht, weiß ich nicht, aber als wir uns in Prien verabschieden, wirkt er aufrecht und rüstig, ohne das leiseste Hinken.
Im Großmarkt in Rosenheim läuft alles einwandfrei. Die restliche Zeit sitze ich dann tatsächlich in einem Café, aber es fällt mir schwer, in Ruhe mein Frauengedeck zu genießen. [18] Ich schlage sogar versuchsweise eine Zeitschrift auf, der Assauer Rudi ist auf dem Titelblatt, aber die Story versaut mir irgendwie die Stimmung. Ich bestelle mir lieber eine Portion Schweinsbratwürschtl und versuche zu vergessen, dass mich die Coverstory fatal an die Schussligkeit meines Vaters erinnert.
Zurück in Prien stelle ich fest, dass ich mit zu viel Kaffee im Hirn zu lange stillgesessen habe, und Ungeduld saust mir im Blut herum. Eigentlich die falsche Gemütsverfassung, um sich um einen Bonifaz Lochbichler zu kümmern, der wahrscheinlich schon mit einem verbundenen Zeh am Dampfersteg auf mich wartet. Oder um den Michi, der plötzlich da neben dem Parkplatz steht und mir mit einem Stecken winkt. Besser gesagt mit einer Rose.
»Woher weißt du denn, dass ich jetzt ankomme?«, frage ich statt Begrüßung, und der Michi zeigt nur hinter mich auf meinen Papa. Der winkt mir aus dem Beifahrerfenster eines brandneuen Mercedes-Sprinter zu und grinst, als der Michi mit dem Blumeneinwickelpapier herumkämpft.
»Was soll das denn?«, frage ich argwöhnisch. Der Michi schaut kurz beleidigt, aber dann beugt er sich zu mir hinunter, und küsst mich auf beide Wangen. Er sieht eindeutig anders aus als sonst.
»Schau, die Rose musst unten anfassen, da wo sie keine Dornen hat!«
Er reicht mir die Blume fachmännisch mit dem Stiel nach vorne.
»Was schaust jetzt, als hätt ich einen grünen Binkel auf der Nase?«
Eine grüne Warze würde mir nicht halb so unwirklich vorkommen wie die Rose in meiner Hand. Und wie Michis neue Frisur.
»Steig ein!«, ratscht er jetzt die Schiebetür von dem Mercedes-Bus auf. »Ihr müssts nicht Dampfer fahren mit den Einkäufen, ich nehm euch mit zum Insulanerhafen, mein Schiff [19] steht in Gstadt.«
Ich lege die Rose vorsichtig neben mich, als ich mich hinter dem Michi anschnalle. Der lädt wirklich hilfsbereit alles um, parkt rückwärts aus, und lässt dann seinen Kopf nach hinten gewandt.
»Und, was sagst?«, fragt er und weist mit dem Kinn auf die Rose.
»Ja mei, schön«, antworte ich und kann die Augen nicht von Michis Kopf wenden. Denn sein Haupthaar ist bis auf ein paar Millimeter abrasiert, bis auf einen stachligen Streifen, der camparirot gefärbt ist wie der Kamm eines Gockels. »So schön rot!«
Aber der Michi meint gar nicht die Blume, und auch nicht seine neue Haarpracht, sondern was sich hinter mir im Auto türmt.
»Was ist das?«, frage ich und schau mir die Wolke bunten seidigen Stoffes an.
»Ein Gleitschirm!«, antwortet der Michi stolz.
»Was machst du in einem neuen Mercedes-Bus mit einem Gleitschirm? Und was sagen die bei der Schifffahrt zu deinem Iro?«
Der Michi schaut zwar jetzt wieder nach vorne, weil er schon am Kreisverkehr Richtung Gstadt ist, aber ich sehe von hinten, wie sich seine Schultern straffen.
»Ich bin nicht mehr bei der Schifffahrt. Heute früh war meine letzte Schicht.«
Er guckt kurz zu meinem Vater.
»Morgen fang ich eine neue Arbeit an. Im Outdoorcenter Schneizlreuth.«
Michi, der schon immer Dampferkapitän werden wollte, arbeitet ab morgen in einem Outdoorcenter? Ich verdränge das Bild eines bierbäuchigen Gockels, der über der Hirschauer Bucht seine Kreise zieht und bin tatsächlich ein wenig beeindruckt, auch wenn der Michi »Zenter« statt Center sagt.
»Wow. Und deine
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