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Zipfelklatscher

Zipfelklatscher

Titel: Zipfelklatscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hohner
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das schwarze Samtsakko inzwischen ausgezogen und die weißen Hemdsärmel hochgekrempelt. Die enge Herrenweste schnürt meinen Busen nach oben und ich tanze, bis die Lichtflecken der Discokugel nicht mehr über die kackbraun lackierten Eichendielen gleiten. Schade. Der singende Hubsi verbeugt sich, nickt mir zu und verschwindet kurz hinter die Bühne. Ich gehe zurück zu unserem Treffpunkt, damit ich nicht dumm in der Gegend herumstehe, und finde, dass ich bis jetzt einen ziemlich netten Abend habe. Und lasse es einfach mal auf mich zukommen, wie weit und wohin ich mit diesem Hubert gehen will.
    »Danke Gabi, Sie können jetzt in den Service.«
    Obwohl ich ihr mein Glas reiche, ignoriert mich das Barmädel und nimmt ein großes Tablett entgegen, das ihr aus dem Hintergrund entgegengestreckt wird. Dann kommt sie hinter dem Tresen vor und hält es mir unter die Nase.
    »Fingerfood für Sie?«
    Fingerfood? Beim Zumsler Wirt?
    »Was ist das denn?«, frage ich und nehme mir zwei der winzigen Türmchen.
    »Variation vom Saibling«, antwortet jemand für die Bedienung, und ich muss gar nicht zweimal hinschauen, um zu wissen, dass es sich um meinen Schweizer Spezialfreund handelt. Warum muss der jetzt in letzter Minute auftauchen und mir die Laune verderben? Er trägt ebenfalls eines dieser grauen Hemden, rote Krawatte und eine schwarze Schürze, und ich finde diese Personal-Uniform total blasiert, was soll das eigentlich, dieser Edel-Quatsch in einem ehrlichen Landhotel? Der Schweizer nimmt mir mein Glas ab mit der Frage: »Für die Dame wirklich noch ein Bier? Wir haben jetzt auch Winnetou Spritz im Programm!«
    Was ist das denn für einer, der sich als Geschäftsführer kurz vor Mitternacht noch selbst an die Bar stellt? Auf den Rudi war in der Hinsicht wenigstens Verlass, der hat um elf einfach die Schnapsflaschen auf die Theke gestellt, sich selbst eine in die Jacke geschoben und ist verschwunden. Ich ziehe mich ein bisschen mehr in den schummrigen Hintergrund und probiere den ersten Happen, geformt wie ein kleines Schiffchen. Variation vom Saibling eins. Riecht ein wenig wie Räucherfisch. Schmeckt auch nach Räucherfisch. Aber eher wie ein Räucherfischbonbon, der Meerrettich als hauchzarte Geleeschicht darüber. Und das herzförmige zweite Stück? Unten Pumpernickel, darauf ebenfalls ein Stück Fisch, mild und nicht so fest wie der vorige, umsponnen von feinen Fäden, die nach Balsamico schmecken. Das ist gebeizter Saibling. Interessant. Aber total überkandidelt, auch wenn die Bedienung nach einer halben Minute Nachschub holt, weil ihr die Häppchen offensichtlich vom Tablett gerissen worden sind. Und vor allem – woher kommen die Fische für diesen Schnickschnack? Ich jedenfalls habe dem Hotel, meinem letzten Großkunden, heute Morgen nur Renken und ein paar Aale geliefert (die von einem zickigen Koch einzeln beschnuppert und betastet worden sind, was es beim Rudi nie gegeben hatte), und bei Hansis Fischbestellung für morgen sind auch keine Saiblinge mit dabei. Aber mir ist natürlich klar, was da läuft. Da ist einer für viel Geld geheadhunted worden und soll jetzt als Heilsbringer die Küche vom »Hotel am See« umkrempeln. Der wird sich noch umschauen! Auf der Insel wird man nicht gern umgekrempelt, da sind schon ganz andere daran gescheitert.
    »Sind Sie von hier?«, versucht der frisch eingekaufte Hotelfach-Jesus jetzt auch noch ein Gespräch mit mir anzufangen und sieht mich ein wenig zu intensiv über den Tresen an, mit irritierend dichten und dunklen Augenbrauen über den blauen Augen. Mir wird als uneingeladenem Party-Kuckucksei ziemlich heiß unter meiner dicken Schicht Schminke.
    »Nein, ich bin nicht von hier. Und ich nehm mal diesen Winnetou Spritz«, weiche ich aus.
    »Wie bitte?«
    »Einen Winnetou Spritz!«
    »Ganz sicher? Winnetou Spritz?«
    »Natürlich, warum nicht«, pampe ich zurück, und fühle mich abermals bestätigt, dass der Kerl ein arrogantes Arschloch ist, oder warum soll ich nicht mal ein neues Getränk ausprobieren? Aber in drei Sekunden habe ich tatsächlich ein Glas in der Hand, orange Flüssigkeit mit Eiswürfeln und Orangenscheibe, fast so groß wie mein Bier vorher, und ich bin etwas besänftigt. Und eigentlich sicher, dass mich in dem schummrigen Partylicht und in dem Aufzug einfach niemand erkennen kann, auch wenn der Neue weiter so komisch guckt und plötzlich grinst, obwohl meines Erachtens nicht der leiseste Anlass dazu besteht. Gut, dass in diesem Moment

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