Zipfelklatscher
Gesellschaft in der KW24.
»Sehr geehrte Frau Lochbichler«, lese ich und dann schreie ich laut: »Papa, Papa, du glaubst nicht, was da einer bestellt hat! Komm schnell, das muss ich dir vorlesen! Vierzig Hechte, wie soll das denn gehen?«
»Das geht nicht«, findet auch mein Vater, der tatsächlich aus irgendeiner Ecke dahergeschlurft kommt und aussieht wie ein gealterter Dandy mit seinem brandneuen Hemd, »so viel kriegen wir nie nicht her.«
Ich bin hin- und hergerissen zwischen Empörung und Ehrgeiz.
»Doch! Warte mal! Wenn wir jetzt anfangen, nur auf Hecht zu gehen und dann einfrieren? Ist dann halt keine Frischware.«
»Schaffma trotzdem ned. Des is ja bald. So viel Stellnetze haben wir gar nicht.«
»Der Sepp aber vielleicht.«
»A Fischer verleiht seine Netz ned. Des is ja, wie wenn er sei Frau verleihen tät.«
»Ah ja. Und bei mir entspräche das dann?«
»Mei, wennst halt mich verleihen tätst.«
Ich sage meinem Vater nicht, dass ich zu einer entsprechenden Anfrage im Moment nicht unbedingt Nein sagen würde, sondern hole mir meinen Kalender und das Telefon und überlege. Mit fremden Netzen und dazwischen einfrieren ginge es. Ich rufe den Sepp an und frage ihn, ob er im Moment zu viele Netze hat, weil mir eins kaputtgegangen ist, der sagt aber, dass seine Reservenetze auch alle hinüber sind. Das glaube ich nicht, aber ich denke mir, dass mein Vater recht hat mit dem Verleihen und mir der Sepp das nur nicht ins Gesicht sagen will, weil er eigentlich ein netter Kerl ist.
»Passt schon, Sepp«, sag ich und lege auf. Der neue Hotelchef wird sich wundern, so viel frisch gefangenen Hecht kriegt der hier nirgendwoher, denke ich mir dann und muss fast lachen über so viel Realitätsverlust. Der will mir den Betrieb lahmlegen mit seinen vierzig Hechten. Und ich schreibe ihm schwungvoll eine E-Mail zurück.
»Sehr geehrter Herr Krug, der Chiemsee ist kein Fischzuchtbecken. Eine solche Bestellung ist meiner Meinung nach nicht seriös, weil Sie damit die Fischer anstiften, keine Frischware mehr zu liefern. Wir sind hier traditionelle Betriebe und nicht«, (und hier komme ich mit meinem größten Feindbild), »eine bundesweite Fischverkaufskette wie die Nordsee. Ich biete Ihnen stattdessen eine chiemseegerechte Sonderlieferung von zweihundert Renkenfilets an, Preis wäre noch zu verhandeln. Mit besten Grüßen K. Lochbichler.«
Ich überfliege die E-Mail noch einmal. Zu zickig? Ah wo. Einerseits habe ich feuchte Hände vor Aufregung, andererseits finde ich es total geil, hier mal Flagge zu zeigen, und außerdem kann mir nichts passieren, denn wo soll er seinen Hecht denn sonst herkriegen? Mein Vater beißt brav in die Renkensemmel, die ich ihm auf den Küchentisch lege, und fragt mit vollem Mund: »Und, was hast ihm gschrieben?«
Ich präsentiere ihm ziemlich stolz meine Antwort, schließlich hat er mir beigebracht, mir nichts gefallen zu lassen. Aber mein Vater wiegt bedächtig seinen Kopf.
»Ich weiß ned, wie ihr jungen Leut des bei einer E-Mail sagt’s, aber ich wenn das lesen tät, ich tät mir denken, Jessas, hat die Haar auf die Zähn.«
Nach dieser Manöverkritik bin ich erst einmal beleidigt, nehme die Brachsen aus dem Rauch und verbringe den Rest des Tages, ohne meinen Vater und meinen Computer eines Blickes zu würdigen.
Am nächsten Morgen bekomme ich meine Tage und leichte Zweifel, ob meine Empörung über die gestrige Hecht-Bestellung nicht vielleicht auf einer hormonbedingten Zickigkeitswelle dahergesegelt ist. Egal. Ich werde den Teufel tun und jetzt etwas zurücknehmen.
»Was darf’s denn sein?«, frage ich meinen ersten Gast und verkneife mir ein Lächeln, weil der junge Mann fast nicht zu erkennen ist vor umgehängten Reisetaschen und einem großen Stativ.
»Wir sind da für das Interview!«
»Hubsi, du? Heute schon?«
Ich wische mir schnell die Finger an dem Geschirrtuch ab, das in meinem Hosenbund steckt, bevor ich den Redakteur begrüße. Hubsi ist hinter seinem Assistenten zurückgeblieben, weil er mit dem Finger über das Holzschild fährt, auf das die Fränzi unser Hauslogo, den Fisch mit der Sonne, in bunten Farben in eine Chiemgauer Landschaft hineingemalt hat. Er hat den Glitzersmoking gegen einen verbeultem Leinenanzug und die Elvistolle gegen ein alltagstaugliches Seitenscheiteltoupet getauscht.
»Wir können uns in den Biergarten setzen, solange noch nicht viel los ist. Kann allerdings sein, dass ich manchmal aufstehen muss, um auszuhelfen. Papa, kommst du mal,
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