Zipfelklatscher
übrigen finde ich, wir sollten uns auf den Weg machen und aus dem Hafen rudern, damit wir die Emerenz nicht aufwecken mit dem Motorgeräusch.«
Es ist eine ziemlich klare Nacht, der Mond ist fast voll und beleuchtet ein paar Wolken von hinten. Sein weißes Licht wird vom Alu der leise schaukelnden Boote reflektiert, die Pusteblumen auf dem Grün unseres ungemähten Hafens ragen wie kleine Lampions in unseren Weg.
»Hast du denn Angst, dass sie uns zusammen sieht? Willst du umdrehen?«
Ich sage nichts, ich bin mir nicht sicher, ob ich weiß, was ich will. Nach Hause, Wunden lecken? Ins »Schloss Seeblick«, Party machen? David sieht mich herausfordernd an.
»Ich finde, wir sollten es zumindest probieren. So, wie wir uns in Schale geworfen haben, wäre es wirklich schade, wenn wir heute nicht mehr unter Leute kommen würden.«
Ich muss lachen. »Das klingt ziemlich dringend! Wie viele freie Abende hast du denn gehabt, seit du hier bist?«
»Also, ich war einmal ein Wochenende weg, um Sachen zu regeln. Aber freien Abend? Keinen. Manchmal mache ich untertags eine große Runde mit dem Fahrrad, aber abends bin ich immer im Hotel. Es ist ja nicht so, dass man hier noch schnell was trinken gehen kann, wenn man bis zwei Uhr morgens gearbeitet hat. Am Züricher See zum Beispiel, da ist die komplette Belegschaft nach der Schicht immer noch etwas trinken gegangen, einfach nebenan, da gibt es diese schwimmenden Bars, weißt du …«
Kann doch nicht sein, dass der schon wieder an der Fraueninsel herummeckert! Als wären wir ein Paradies zweiter Klasse.
»Ja, warum bist du dann nicht da geblieben? An deinem Züricher See, der eh viel größer und toller ist als der Chiemsee? Kann man sich doch denken, dass hier tote Hose ist im Vergleich zu einer Großstadt!«
Aber dann sehe ich, mit welchem Blick David über den See in den Mond schaut. Der hat keine gute Laune mehr, der hat gerade eine Heimwehattacke, und ich bin schuld, weil ich mich so angestellt habe.
»Wirklich? Schwimmende Bars? Das klingt interessant«, sage ich sanft und fahre ihm tröstend über die kraus gestrickte Trachtenjacke.
»Ja, Zürich ist eine Wahnsinnsstadt. Aber ganz ehrlich«, er bleibt jetzt stehen und guckt mir direkt ins Gesicht, »ich habe auch dort die meiste Zeit gearbeitet, und deshalb habe ich es auch nicht gemerkt, dass meine Freundin was mit dem Sous-Chef gehabt hat.«
»Hängst du denn noch an ihr?«
»Sicher nicht. Es ist gut, dass es vorbei ist. Und nach Zürich fahre ich erst wieder, wenn ich die Stadt jemandem zeigen kann, der sich darüber freut und nicht einer, die nur vom Papa zum Arbeiten geschickt worden ist, obwohl sie es nie wirklich nötig haben wird, und der nichts gut genug ist. Am liebsten einer Frau. Einer lieben Frau, diesmal.«
Darauf weiß ich jetzt nichts zu sagen, was soll ich auch auf so was sagen. Es ist schon komisch, immer wenn der Schweizer neutralen Boden verlässt und anfängt, mit seinen ch-s und sch-s von sich zu erzählen, wird mir so heiß hinter den Augen, und ich muss blinzeln, als hätte mir ein sauberer Ostwind eine Ladung Chiemseestrandsand ins Gesicht geblasen. Seit ich ihr altes Dirndl aus der Schutzhülle gezogen habe, werde ich außerdem das irritierende Gefühl nicht los, dass die Mama hinter mir steht und sich David über meine Schulter hinweg ansieht. Und weil wir schon auf Höhe meines Boots sind, steige ich einfach ein und ziehe die zwei hölzernen Ruder unter der Bank hervor. David nimmt sie mir schweigend aus der Hand und manövriert das Boot mit ein paar lautlosen Ruderschlägen auf den offenen See hinaus, dann setzt er sich neben mich und schaut mit mir gemeinsam auf die wenigen Lichter der schweigenden Insel zurück. Ich senke schnell den Außenborder ins Wasser, Motor und der Fahrtwind sind sowieso zu laut, um sich zu unterhalten, und so strecken wir beide die Nase in den Nachtwind und sagen nichts. Nach zehn Minuten zieht David ungefragt seine Jacke aus und legt sie mir um die Schultern. Ich weise nur schweigend mit der Kinnspitze auf meinen Arbeitsparka, der zusammengerollt in einem der schwarzen Bottiche legt, und er greift nach vorne und breitet ihn über unseren Knien aus.
Die Nachtluft vertreibt auch den letzten Rest Müdigkeit, vielleicht wecken mich aber auch die Vibrationen des Bootes auf, oder dass wir irgendwie langsam aneinander rutschen. Unter dem verschlissenen Plüschfutter meines Parkas wird mir warm, ziemlich warm, und zwischen uns ist nur noch die Lenkstange.
Weitere Kostenlose Bücher