Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)
Doch noch immer spürte sie die Bedrohung, die
von ihm ausging.
Dienstag, 12. Juli
Das Licht des Vormittags war von
einem eigentümlichen, fahlen Grau, wie Florian es von Novembertagen kannte. Es hatte
sich wie ein Schleier auf das Grün der Bäume und Büsche gelegt, selbst die Menschen,
die ihm begegneten, wirkten blass. Die Sonne hielt sich hinter einer dichten Wolkendecke
versteckt, und Florian überlegte mit einem prüfenden Blick gen Himmel, ob sie im
Verlauf des Tages noch hervorkommen würde. Grau war eine Farbe, die sich zu nichts
bekannte. Eine Farbe, weder Fisch noch Fleisch. Genauso fühlte er sich heute, indifferent,
unentschlossen, sozusagen zweideutig und zu allem Überfluss ungeheuer müde.
Statt ins
Büro am Hansaring zu fahren, hatte er sich nach dem Frühstück bei seinem Carsharing-Anbieter
einen Kleinwagen gemietet. Bevor er sich jedoch auf den Weg zu Sam Delson machte,
ging er einmal rund um den Decksteiner Weiher , jedes Mittel, den Besuch bei
Sam hinauszuzögern, war ihm recht. Er wollte seinen Gedanken freien Lauf lassen
und sich mental auf seinen Besuch bei ihm vorbereiten. Als er irgendwann zu der
Stelle kam, wo man Sabrinas Leiche gefunden hatte, musste er sich überwinden, den
Platz in Augenschein zu nehmen, seine Phantasie spiegelte die Bilder ihres Todeskampfes,
und sie verursachten ihm Übelkeit. Hier war sie gestorben. Florian ließ seine Blicke
schweifen, aber nichts erschien ihm in irgendeiner Form verdächtig. Die Kripo und
die Spurensicherung hatten natürlich ganze Arbeit geleistet und längst alles asserviert,
was in irgendeiner Form auffällig gewesen war.
Als er wieder
im Wagen saß, atmete er tief durch und sah eine Weile aus dem Fenster, bevor er
ins Navi als Ziel die Kirchberger Straße eingab. Nach ein paar Minuten hörte er
Gerd Köster sagen: Do pennt widder einer op de Meddelspor , und Florian musste
unwillkürlich grinsen. Das Navi op Kölsch war einfach herrlich, man konnte
noch so deprimiert sein, es heiterte einen garantiert auf. In diesem Moment nahm
er sich vor, seiner Chefin eine Sendung zum Thema Mundarten in NRW vorzuschlagen.
Immerhin gab es nicht nur Kölsch, sondern auch das Sauerländer Platt und das Öcher
Platt, wie es von den Menschen im Aachener Raum gesprochen wurde. Vermutlich existierten
sogar noch weitere Dialekte, von deren Existenz er bislang nichts wusste.
Die Sendung
über Eliteschulen in Deutschland war gut vorbereitet, und so hatte er sich
am Morgen gesagt, dass er es sich leisten könne, bei Sam vorbeizuschauen. Der Besuch
fiel zwar in seine reguläre Arbeitszeit, aber aufkommende Bedenken hatte er wie
so oft in letzter Zeit kurzerhand beiseite geschoben, und außerdem waren die Regeln
bei Profi Entertainment nicht so streng. Wenn er sich ein Bild davon machen
wollte, mit was für einem Menschen Sabrina zusammen gelebt hatte, und wenn er herausfinden
wollte, ob er ihr Mörder war, dann durfte er nicht weiter um ihn herum schleichen
wie die Katze um den heißen Brei. Dann musste er sich einen Ruck geben und die Konfrontation
mit dem ehemaligen Rivalen wagen. Also hatte er in der Sozietät angerufen und die
Auskunft erhalten, dass Sam einen Gerichtstermin habe, anschließend jedoch nicht
ins Büro zurückkehren, sondern direkt nach Hause fahren würde.
Florian
seufzte, inzwischen war er in die Kirchberger Straße eingefahren. Er parkte den
Wagen unmittelbar vor dem Haus, das aus den 60er Jahren stammte, doch ganz offensichtlich
modernisiert worden war. Der Weg durch den mit alten Bäumen bewachsenen Vorgarten
erinnerte ihn plötzlich an eine Fernsehserie, und für einen Augenblick kam er sich
vor wie ein Schauspieler, der fehlbesetzt war. Er wusste, dass das Grinsen, das
er aufgesetzt hatte, falsch wirken musste, und die Schritte, mit denen er sich dem
Haus näherte, waren entschieden zu langsam.
Sam öffnete
nur wenige Sekunden, nachdem er geklingelt hatte, die Tür. Er überlegte einen Moment,
doch Florian bemerkte an seinem Blick, dass er ihn erkannt hatte. »Was kann ich
für Sie tun?«, fragte er kühl.
»Ich würde
gern mit Ihnen über Sabrina reden«, antwortete Florian. Sam starrte ihn an. Zwischen
ihnen stand ein Schweigen so groß und erdrückend, dass es beinahe unüberwindbar
schien. Sam rührte sich nicht vom Fleck.
»Tun Sie
mir den Gefallen, selbst wenn es Ihnen schwerfällt«, sagte Florian und fügte hinzu:
»Auch mir ist der Weg hierher nicht leicht gefallen.«
Sam blinzelte,
dann versuchte er eine einladende
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