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Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)

Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bärbel Böcker
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sie abzuwischen.
    Die Bilder
reihten sich aneinander zu einem langen Schock. Ein Löschzug der Feuerwehr, der
mit Blaulicht an ihnen vorbeiraste. Ein Rettungswagen mit Martinshorn, der mit halsbrecherischer
Geschwindigkeit folgte. Polizeiwagen, die aus allen Richtungen zu kommen schienen.
Sie und Gino, sich in Sicherheit wähnend, die Weingläser fest in der Hand, mit erschrockenem
Blick, nicht ahnend, dass die Autos zum Zirkus fuhren. Nicht wissend, dass das Unglück
sie unmittelbar betraf, dass der Wohnwagen, in dem Dele lebte, explodiert war.
    Dele schloss
die Augen. Jetzt sah sie einen Arzt und die Sanitäter, die sich über jemanden beugten,
von dem sie wusste, dass es Pippa war. Verzerrte Gesichter hinter Flammen. Hektische
Bewegungen. Leise Befehle.
    Zum ersten
Mal, seit Gino sie umwarb, hatte sie seinem Drängen nachgegeben und war mit ihm
ausgegangen, und diese Entscheidung hatte ihr Leben gerettet.
    Nach der
Abendvorstellung waren sie losgezogen, Pippa hatte ihr noch einen verschwörerischen
Blick zugeworfen und ihnen hinterher gewunken. Dennoch hatte sie die Aussicht, allein
im Wohnwagen zurückzubleiben, allein für sich zu kochen und allein zu essen, verdrossen.
    Dele und
Gino hatten sich zusammen auf den Weg zur Pizzeria um die Ecke gemacht. Dort hatten
sie im Mondlicht bei Kerzenschein vor der Tür gesessen, Spaghetti und Oliven und
Garnelen gegessen, und Dele hatte seit langem wieder einen Hauch von Unbeschwertheit
gespürt. Sie hatte ihm von ihrer Familie und von ihren Geschwistern erzählt, und
als er sie danach gefragt hatte, wann und wo sie jonglieren lernte, hatte sie ihm
von dem alten Mann und dem Wanderzirkus in Cobán erzählt. Ihre Augen hatten zu strahlen
begonnen, und Gino hatte ihr Komplimente gemacht. Ihre Augen seien so schön wie
die Nacht, hatte er gesagt, und dass sie Ohren habe wie die Gehäuse von Sumpfdeckelschnecken.
Die habe er wie andere Schnecken als Kind gesammelt, aber die Sumpfdeckelschnecken
seien die schönsten. Seine Worte hatten in der Luft geschwebt wie Ballons, und Dele
hatte nicht gewagt, etwas zu sagen, aus Angst, sie könnten davonfliegen oder zerplatzen.
Unter seinen Augen hatte ihr Körper gebrannt, und sie hatte seine Seele gespürt
wie die Haut eines nahen Freundes. Als er sich danach erkundigt hatte, wer das kleine
Mädchen gewesen sei, mit dem sie in letzter Zeit häufiger im Zirkus aufgetaucht
war, hatte der Zauber jedoch einen Riss bekommen und sie hatte schnell das Thema
gewechselt. »Irgendwann werde ich es dir erzählen, nicht jetzt«, hatte sie gemurmelt
und lange in die Sterne geschaut.
    Er stammte
aus der Maremma, aus einer Familie von Jongleuren. Seit er denken konnte, war er
mit ihnen im Zirkus durch Europa getourt, nur im Winter hatten sie Station zu Hause
auf dem Land gemacht, wo sein Vater und sein Onkel einen großen Hof besaßen. Der
Bruder des Vaters züchtete die berühmten Rinder, als Einziger hatte er nie in der
Manege gestanden, und wenn Ginos Familie im Winter nach Hause kam, besprachen die
Brüder die Geschäfte und schmiedeten Pläne für die Zucht des nächsten Jahres.
    Gino war
jung, Mitte 20 erst, der jüngste von den fünf Geschwistern, und nach langen Diskussionen
und vielen Gesprächen hatte ihn seine Familie endlich ziehen lassen. Er hatte sich
und ihnen beweisen wollen, dass er es als Jongleur allein schaffen konnte, und so
hatte er sich zum ersten Mal in seinem Leben von den Menschen getrennt, die ihm
alles bedeuteten.
    Jetzt stellte
Gino eine Tasse mit heißem Pfefferminztee auf den Tisch, und Dele wickelte die Decke
enger um sich herum. Mit beiden Händen griff sie vorsichtig nach dem Gefäß. Ihr
Zittern hatte etwas nachgelassen, doch es war noch immer nicht ganz verschwunden.
Vorsichtig, darauf bedacht, dass nichts überschwappte, nahm sie einen Schluck und
sah ihn dankbar an.
    »Es war
eine Gasexplosion«, sagte Gino und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
    Dele strich
sich eine Strähne ihres langen schwarzen Haars aus dem Gesicht. »Wie konnte das
passieren?« Sie merkte, dass erneut Tränen aus ihren Augen flossen, und wie zuvor
wischte sie sie nicht weg. Gino zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und reichte
es ihr. »Du hast wahnsinniges Glück gehabt«, sagte er.
    Sie nickte,
griff nach dem Kreuz, das sie wie die Armbanduhr im Brustbeutel immer bei sich trug,
und spürte, wie es ihr Kraft und Halt gab. Einen Moment verharrten ihre Finger auf
dem hölzernen Stück, dann zog sie den Beutel unter ihrem Kleid

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