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Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)

Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bärbel Böcker
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letztes
Mal sah er sich in dem Raum, in dem sie wohnte, um. Zwei Betten, kojenartig übereinander
angeordnet, eine Kochnische, ein Ecktisch mit blau-weiß gepolsterter Eckbank, ein
Wandschrank. Mehr nicht. Er öffnete den Schrank und durchwühlte die Kleider, doch
alles, was ihm in die Hand fiel, erschien ihm uninteressant. Röcke, Hemden und Unterhosen
ohne jeglichen Sexappeal. Rosa Synthetik mit billigen weißen Spitzen daran. Ihn
schauderte. Es war minderwertiges Zeug, so minderwertig wie die Trägerin. Schnell
legte er es wieder zurück in den Schrank, als habe er Angst, sich mit anhaftenden
Bakterien zu infizieren.
    In dem hölzernen
Kasten, auf dem ein kleiner Ball lag, fand er ein paar vergilbte Fotos. Eines zeigte
sie und ihre Familie vor einer ärmlichen Lehmhütte, ein anderes ein Riesenrad auf
einem staubigen Dorfplatz, umringt von dreckigen Kindern. Ein drittes zeigte einen
alten Jongleur, dessen faltiges Gesicht in die Kamera lächelte. Auf dem vierten
Foto war ein Geistlicher inmitten von Kranken und Gebrechlichen zu sehen, die in
Reih und Glied vor sich hinsiechend auf ihren Betten lagen. Er legte die Fotos in
die Kiste zurück und straffte sich. Gut, dass er mit diesem Elend nichts zu tun
hatte. Gut, dass er hier, auf der anderen Seite der Erdkugel, geboren war.
    Seufzend
drehte er seine Hände hin und her und betrachtete sie. Es war ein Jammer, dass sie
tun mussten, was sie schon einmal getan hatten. Während er sie anstarrte, spürte
er eine Distanz zu ihnen, die ihn erschreckte.
    Vor zwei
Wochen war sein Leben noch völlig normal gewesen, nichts hatte darauf hingedeutet,
dass es einmal so aus den Fugen geraten könnte. Er schloss die Augen und stand still,
denn er fühlte sich erschöpft und unendlich müde. Unter die Müdigkeit mischte sich
Angst, und unter der Angst lauerte Hass. Er wusste, dass er auch sie umbringen musste.
Wenn er es nicht tat, würde sein Leben zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Er musste
ihre Aktivitäten stoppen. Er hatte keine andere Wahl und er würde dabei auf seine
Intelligenz vertrauen. Tief sog er die Luft bis hinunter in die Lungenspitzen.
    Sie war
selber schuld, genau wie Sabrina. Warum musste sie hier auftauchen und sich in Dinge
einmischen, die sie nichts angingen? Vor einigen Tagen war sie in sein Büro spaziert
und hatte sich erkundigt, aber seine Sekretärin hatte sie nicht vorgelassen. Sie
war hartnäckig gewesen und hatte eine Szene gemacht, und als das nicht half, hatte
sie damit gedroht, sich nicht vom Fleck zu rühren bis irgendwann jemand käme. Erst,
als seine Sekretärin zum Telefonhörer gegriffen hatte, um die Polizei zu verständigen,
war sie endlich verschwunden. Er kniff die Augen zusammen. Er war ihr gefolgt und
seit einigen Tagen beobachtete er sie. Er wusste genau, was sie von ihm wollte,
er konnte es förmlich riechen.
    Vorsichtig
schloss er die Tür hinter sich, dann sah er sich in alle Richtungen um und holte
tief Luft. Niemand schien ihn bemerkt zu haben. Zwischen Wohnwagen hindurch entfernte
er sich vom Gelände, und während er wie ein ganz normaler Besucher davon schlenderte,
ging ihm durch den Kopf, dass zwei Dinge sonnenklar waren: Erstens, sie hatte sich
verkalkuliert, und zweitens, ihre Dummheit würde sie ihr Leben kosten.

Donnerstag, 14.Juli, kurz vor Mitternacht
     
    Die Luft war schwer und hatte auch
am Abend kaum Abkühlung gebracht. Nicht einmal der Wind, der leise mit den Blättern
der Büsche und Bäume spielte, ließ die Menschen aufatmen. Sie hockten vor den Bars
und Cafés und ignorierten die Nacht, denn draußen war es erträglicher als in den
Häusern. Sie lachten und tranken, sie stritten und küssten sich, während das silberne
Licht des Vollmonds über ihnen und den Dächern der Stadt glänzte.
    Nur Dele
fror trotz der Hitze. Sie zitterte so sehr, dass ihre Gliedmaßen zuckten und sich
zu verselbständigen schienen. Ihre Zähne klapperten, und ihr normalerweise olivfarbener
Teint hatte von einer Sekunde zur anderen die Farbe verloren. Gino griff nach einer
Decke, die er aus dem oberen Fach des Wandschranks in seinem Wohnwagen zog. Behutsam
legte er sie ihr um die Schultern. Er wollte wissen, ob er ihr einen Tee zubereiten
sollte, aber sie sah mit ausdruckslosem Blick an ihm vorbei.
    »Ist sie
…?«, fragte Dele, und die Worte fielen aus ihrem Mund wie Steine.
    »Ja.« Gino
schluckte. »Pippa ist tot.«
    Aus Deles
Augen rollten Tränen. Erst eine, dann zwei, dann unaufhaltsam immer mehr, und sie
machte keine Anstalten,

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