Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)
den
Fincas der Großgrundbesitzer. Florian sah mit leerem Blick aus dem Fenster, das
weit geöffnet war und durch das lautes Hupen hereindrang. Plötzlich wusste er, was
es war, das ihn seit Sabrinas Trauerfeier unbewusst beschäftigt hatte. Es war die
Frage nach Luz’ Herkunft, noch immer hatte er nicht in Erfahrung gebracht, woher
sie stammte. Weder bei seiner Mutter noch bei Sam. Aber ihre Züge erinnerten ihn
an jene der Kinder aus dem guatemaltekischen Hochland.
Im Le Moisonnier waren alle
Tische besetzt. Florian ließ seine Blicke im Raum umherschweifen, doch seine Mutter
und sein Vater waren noch nicht da, was ihn nicht sehr verwunderte. Er sah auf die
Uhr. Unter einer Viertelstunde Verspätung war mit Marie-Louise nicht zu rechnen,
sie war prinzipiell unpünktlich.
Der Inhaber
begrüßte ihn und Jana lächelnd mit einer leichten Verbeugung und führte sie zu ihrem
Tisch unmittelbar am Fenster. Florian bestellte für sie beide als Aperitif einen Suze mit Tonicwater, und nachdem er serviert worden war, nahm er einen großen
Schluck. Das Getränk erfrischte ihn sofort, der bittersüße Geschmack des Enzians
legte sich auf seine Zunge und versöhnte ihn augenblicklich mit dem Leben. Es war
nicht mehr bleiern und zäh wie in den vergangenen Tagen, sondern bekam eine unerwartet
beschwingte Note, nicht zuletzt, weil er vormittags in der Redaktion einen kleinen
Sieg über Curt errungen hatte.
»Cheers.«
Florian hob sein Glas. »Eins zu Null für mich.«
»Inwiefern?«
Jana sah ihn fragend an.
»Regine
ist auf meiner Seite.«
»Verstehe
ich nicht.«
»Wir hatten
vorhin Redaktionssitzung für Eliteschulen in Deutschland , und als ich vorschlug,
einen Neurobiologen in der Sendung zu platzieren, hat Curt wie erwartet sofort versucht,
dagegen zu argumentieren. Allerdings erfolglos.« Florian grinste zufrieden. »Regine
hat ihm zu verstehen gegeben, dass der Neurobiologe uns als Gesprächspartner durchaus
nützen kann, für das bessere Verständnis kognitiver Prozesse …« Er sah zur Tür,
herein wehte ein Luftzug und mit ihm seine Mutter. Augenblicklich verbreitete sich
ein Hauch von Glamour im Restaurant, denn ihre Erscheinung war wie immer exquisit.
Die mit floralen Mustern bedruckte Sommerbluse, die sie über einer weißen Hose trug,
umflatterte ihren schmalen Körper, und die grazile Bewegung ihrer Hand, die den
Stoff festzuhalten suchte, drückte etwas Huldvolles aus. Die Bewegung des Kopfes,
den sie nach hinten warf, war betörend elegant. Ihre Gesten offenbarten etwas, das
nur Menschen zu Eigen ist, die seit Jahren im Licht der Öffentlichkeit stehen und
sich dessen bewusst sind. Auftritt bleibt Auftritt , dachte Florian und spürte
einen seltsamen Stolz in sich, der ihn ebenso irritierte wie freute.
»Schön,
euch zu sehen«, begrüßte sie ihren Sohn und Jana mit einem Lächeln und bot ihnen
ihre Wange zum Kuss.
Jörg Fresemann,
Florians Vater, den er erst vor drei Jahren kennen gelernt hatte, blinzelte ihm
zu. »Ich reiche dir nur die Hand«, sagte er und lachte und gleichzeitig hieb er
ihm kumpelhaft auf die Schulter. Es dauerte eine Weile, bis seine Eltern etwas umständlich
Platz genommen hatten, und als sie alle schließlich unter einigem Wortgeplänkel
die Auswahl aus der Speisekarte getroffen hatten, spürte Florian, dass Jana sich
neben ihm mehr und mehr versteifte. Seine Mutter hatte bereits einige Male das Wort
an ihn gerichtet, Jana aber nur mit kurzen Blicken bedacht. Hatte sie nicht gesagt,
sie wolle essen gehen, um Jana endlich besser kennenzulernen? Er runzelte die
Stirn.
Marie-Louise
Halstaff erzählte mit ausladenden Gesten von den aktuellen Dreharbeiten, die sie
physisch wie psychisch aushöhlten, und sein Vater, nach jahrelanger Tätigkeit im
Management mittlerweile Pensionär, lächelte dazu verständnisvoll.
Florian
betrachtete die beiden. Marie-Louise Halstaff und Jörg Fresemann waren Senioren
und sahen blendend aus, doch er fragte sich, was er tun könne, um nicht so zu enden.
Unter dem Tisch drückte er Janas Hand. Sie unternahm den Versuch eines Lächelns,
als aber seine Mutter auch nach etlichen Minuten nicht aufhörte zu schildern, wie
oft der Regisseur sie eine Szene hatte spielen lassen, in der sie von der tödlichen
Erkrankung ihres Geliebten erfuhr, stand Jana auf und ging mit steifen Schritten
Richtung Toilette.
Sein Vater
hörte Marie-Louise höflich zu, doch nebenbei gelang es ihm, Florian kurz zuzuzwinkern.
Er zeigte das wohlwollende Verständnis eines
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