Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)
Moment dachte ich an meine Mutter, an den Ton zwischen
ihren Händen, und ich sah, wie sie die Scheibe dreht.« Sie schluckte. »Er nahm meinen
Kopf und schlug ihn auf die Erde, wieder und wieder.«
Gino war
kreidebleich geworden.
»Hör auf,
du brauchst nicht weiterzuerzählen«, flüsterte Jana.
»Irgendwann
bin ich bewusstlos geworden«, sagte Dele. »Meine Geschwister fanden mich, als es
bereits dunkel war. Achteinhalb Monate später, mein Bauch war schon sehr dick, ist
er wiedergekommen, um mich zu holen. Ich wollte nicht, aber er hat mich gezwungen.
Ich musste mit in die Stadt, wo er wohnte, ich musste sein Bett machen, und für
ihn kochen und putzen. Angerührt hat er mich nicht mehr. Als es so weit war, hat
er mich ins Krankenhaus gebracht, und als das Baby kam, haben sie es mir sofort
weggenommen.«
» Sie ?«,
fragte Florian.
»Der Mann
und eine Frau. Ich hatte sie nie zuvor gesehen.«
»Und dann?«,
fragte Jana. »Was passierte dann?«
Dele sah
Florian an, als sie weitersprach: »Dann … nichts. Ich habe mein Kind nie wiedergesehen,
ich wusste nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Sie haben mir umgerechnet
ungefähr 50 Dollar in die Hand gedrückt und mich gezwungen, Blanko-Dokumente zu
unterschreiben. Inzwischen weiß ich, dass es die nötigen Unterschriften waren, um
mein Kind zur Adoption freizugeben.« Ihr Mund zuckte, er bewegte sich hin und her
wie ein zappelnder Fisch. »Jahre später habe ich dem Padre davon erzählt und mich
auf sein Drängen in Cobán an eine Menschenrechtsorganisation gewandt. Die Organisation
verfügt über Kontakte zu den Behörden, zu Verwaltungsangestellten, die nicht korrupt
sind, und so haben sie mit akribischer Geduld Aktenberge durchforstet und Informationen
über mein Kind gesucht, und irgendwann sind sie fündig geworden.« Dele sah erst
Florian, dann Jana und Gino an. »Und jetzt will ich es zurück, ich will es wiederhaben.
Es ist ein Mädchen. Ich wurde zu den Unterschriften gezwungen.« Der Guatemaltekin
schossen Tränen der Wut in die Augen. »Inzwischen weiß ich, wo meine Tochter ist.«
Florian
fühlte Schwindel, ihm wurde beinahe schwarz vor Augen.
»Sie lebt
in Köln, und ihr Name ist Luz Delson.«
Montag, 18. Juli, vormittags
Florian zermarterte sich den Kopf.
Hatten Sabrina und Sam gewusst, auf welche Art Luz gezeugt worden war? Seitdem Dele
von ihrer Vergewaltigung berichtet hatte, war er so aufgewühlt, dass er kaum noch
einen klaren Gedanken fassen konnte. Sie hatte behauptet, dass es in Guatemala eine
Adoptionsmafia gebe, die in großem Stil Kinder aus dem Land schaffe und ins Ausland
verkaufe, in erster Linie nach Amerika. Eine Adoptionsmafia, die vor allem indigene
Frauen ohne nennenswerten Bildungshintergrund ihrer Kinder beraube, sie manchmal
sogar bewusst vergewaltige, so wie es ihr widerfahren war, und die ihnen die Kinder
nach der Geburt wegnähme. Ein Netz von Kriminellen habe daraus ein Geschäft gemacht:
Ein Millionengeschäft.
Er saß hinter
seinem Schreibtisch und versuchte, seine Gedanken an Dele endlich beiseite zu schieben
und sich auf die bevorstehende Redaktionskonferenz zu konzentrieren, als das Telefon
klingelte. Patricia, die Sekretärin, wünschte ihm einen guten Morgen, doch er konnte
ihrer Stimme anhören, dass etwas nicht stimmte. »Bist du krank?«, fragte er, von
ihrer belegten Stimme verunsichert.
»Nein, das
nicht …« Sie druckste herum. »Regine bittet mich dir auszurichten, du mögest in
ihr Büro kommen.«
Er sah auf
die Uhr. »Die Redaktionskonferenz findet doch erst in einer Stunde statt.«
»Du sollst
aber gleich zu ihr kommen.«
Florian
merkte auf. »Weißt du, worum es geht?«
»Nein, sie
hat nichts gesagt, aber …«
»Ja?«
»Sie hat
schlechte Laune, und ich denke, es hat mit dir zu tun.«
Florian
raffte sämtliche Unterlagen zusammen, die ihm für die Sendung Eliteschulen in
Deutschland relevant erschienen, und machte sich mit gemischten Gefühlen auf
den Weg zu Regine Liebermanns Büro, das sich im obersten Stockwerk des Altbaus befand.
Unterwegs schwebte ihm leichtfüßig Theo entgegen, dessen wasserstoffblond gefärbtes
Haar aussah, als habe die Farbe gerade erst eine Auffrischung erhalten. Florian
überlegte, wie viele Minuten oder gar Stunden er täglich in seinem Badezimmer zubrachte,
damit beschäftigt, sich zu rasieren, sich einzucremen oder sonstige Körperpflege
zu betreiben. Er schätzte, dass allein das Styling seiner Frisur ihn mindestens
15 Minuten kostete. Der
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