Zirkuskind
an – er behauptete, nichts dagegen zu haben, daß ihre gemeinsamen Kinder
getauft und katholisch erzogen würden. Er und Julia waren sich im stillen einig,
daß dies eine sinnvolle, wenn auch nicht ganz unschuldige Täuschung war – die ebenfalls
dazu diente, Julias Mutter zu beruhigen.
In Farrokhs Augen
hatte es seinen Töchtern nicht geschadet, daß sie getauft worden waren. Solange
Julias Mutter noch am Leben war – und auch nur dann, wenn sie die Daruwallas und
ihre Kinder in Toronto besuchte oder die Daruwallas sie in Wien besuchten –, war
es ihnen nie sonderlich schwergefallen, am Sonntag in die Kirche zu gehen. Farrokh
und Julia hatten den drei kleinen Mädchen erklärt, daß sie ihrer Großmutter damit
eine Freude machten. Das entsprach einer bewährten, ja sogar ehrenwerten Tradition
in der Geschichte des christlichen Kirchgangs: Man ging pro forma in die Kirche,
einem Familienmitglied zuliebe, das wirklich gläubig und darum zu keinen Kompromissen
bereit war. Niemand hatte gegen diese gelegentlichen Bekundungen eines Glaubens
etwas einzuwenden, der ihnen im Grunde allen fremd war, vielleicht sogar Julias
Mutter. Farrokh fragte sich manchmal, ob sie pro forma zum Gottesdienst gegangen
war, nur um ihnen eine Freude zu machen.
Es trat genau das
ein, was die Daruwallas vorausgesehen hatten: Als Julias Mutter starb, schlief der
sporadische Katholizismus der Familie endgültig ein – die Kirchgänge hörten praktisch
auf. Rückblickend gelangte Dr. Daruwalla zu der Erkenntnis, daß seine Töchter dazu
erzogen worden waren anzunehmen, daß Religion grundsätzlich nichts anderes bedeutete,
als pro [266] forma in die Kirche zu gehen, um jemand anderen glücklich zu machen.
So ließen sich seine Töchter das Sakrament der Ehe spenden und unterzogen sich anderen
Ritualen und Zeremonien der anglikanischen Kirche Kanadas, um ihrem Vater, nach
seinem Übertritt, eine Freude zu bereiten. Vielleicht war das der Grund, warum Pater
Julian das Wunder, durch das Farrokh zum Christentum bekehrt worden war, so geringschätzte.
Nach Ansicht des Pater Rektors konnte es sich nur um ein unbedeutendes Wunder handeln,
da es lediglich dazu ausgereicht hatte, aus Dr. Daruwalla einen Anglikaner zu machen.
Mit anderen Worten: Es hatte nicht ausgereicht, um aus ihm einen Katholiken zu machen.
Farrokh hatte sich
überlegt, daß es eine günstige Jahreszeit war, um nach Goa zu fahren. »Die Reise
soll so was wie eine zweite Hochzeitsreise für Julia sein, eine Art zweiter Flitterwochen«,
hatte er seinem Vater erklärt.
»Was sollen denn
das für Flitterwochen sein, wenn man die Kinder mitnimmt?« hatte Lowji gefragt.
Meher und ihm paßte es gar nicht, daß ihre drei Enkelinnen nicht bei ihnen blieben.
Farrokh wußte, daß sich die Mädchen, die elf, dreizehn und fünfzehn Jahre alt waren,
auf keinen Fall damit abgefunden hätten, zu Hause zu bleiben. Was man über die Strände
von Goa so hörte, war in ihren Augen ungleich aufregender, als bei den Großeltern
zu bleiben. Außerdem waren die drei ganz versessen auf diesen Urlaub, weil auch
John D. dabeisein würde. Kein Babysitter besaß so viel natürliche Autorität; sie
waren eindeutig verliebt in ihren älteren Adoptivbruder.
Im Juni 1969 war
John D. neunzehn Jahre alt und, vor allem für Dr. Daruwallas Töchter, ein äußerst
attraktiver Europäer. Julia und Farrokh bewunderten den schönen Jungen natürlich
auch, aber weniger wegen seines guten Aussehens als weil er mit ihren Kindern so
gut umgehen konnte. Nicht jeder Neunzehnjährige hätte so viel impulsive Zuneigung
von drei [267] minderjährigen Mädchen verkraftet. Aber John D. war nicht nur sehr geduldig,
sondern auch ausgesprochen reizend mit ihnen. Da er in der Schweiz zur Schule gegangen
war, konnten ihn die Freaks, die Goa überschwemmten, vermutlich nicht schrecken
– zumindest glaubte Farrokh das. Damals, 1969, wurden die europäischen und amerikanischen
Hippies als »Freaks« bezeichnet – vor allem in Indien.
»Das sind mir saubere
zweite Flitterwochen, meine Liebe«, hatte der alte Lowji zu Julia gesagt. »Er fährt
mit dir und den Kindern an die dreckigen Strände, an denen die verkommenen Freaks
herumlungern, und das alles nur, weil er so gern Schweinefleisch ißt!«
Mit diesem Segen
trat die junge Familie Daruwalla die Fahrt in die ehemalige portugiesische Enklave
an. Farrokh erklärte Julia, John D. und seinen gleichgültigen Töchtern, daß die
Kirchen und Kathedralen von Goa zu den
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