Zirkuskind
in der einen oder
anderen vornehmen Villa in Alt-Goa einzuquartieren.
Weil sie ein solch
lärmender Haufen waren und weil Dr. Daruwalla es liebte, zu jeder Tages- und Nachtzeit
zu essen, hielten sie es für klüger und diplomatischer – zumindest bis die Kinder [270] älter waren –, nicht in irgendeinem gepflegten, fremden Haus mit all dem zerbrechlichen
portugiesischen Porzellan und den polierten Rosenholzmöbeln zu wohnen. Statt dessen
mieteten sie sich in einem jener Strandhotels ein, die schon damals bessere Zeiten
gesehen hatten, aber weder von den Kindern demoliert, noch durch Dr. Daruwallas
chronischen Appetit beleidigt werden konnten. Die geistvollen Neckereien zwischen
Farrokh und Julia wurden von dem schäbigen Personal und der weltverdrossenen Klientel
des Hotel Bardez völlig ignoriert, wo das Essen frisch und reichlich war, wenn auch
nicht immer ganz appetitlich, und die Zimmer beinahe sauber. Schließlich kam es
auf den Strand an.
Das Bardez war Dr.
Daruwalla von einem jüngeren Mitglied des Duckworth Club empfohlen worden. Der Doktor
wünschte, er wüßte noch genau, wer das Hotel gelobt hatte und warum, konnte sich
aber nur noch an Bruchstücke der Empfehlung erinnern. Die Gäste waren vorwiegend
Europäer, und Farrokh hatte sich gedacht, daß Julia das reizvoll finden würde und
der junge John D. sich dort entspannen könnte. Julia hatte ihren Mann damit aufgezogen,
daß er anscheinend glaubte, John D. würde »Entspannung« benötigen; sie fand die
Vorstellung, daß der junge Mann noch entspannter sein könnte, als er ohnehin schon
war, absurd. Was die europäischen Gäste betraf, gehörten sie nicht zu den Leuten,
die Julia jemals kennenlernen wollte, da sie unter allem Niveau waren – selbst für
John D.s Verhältnisse. Und John D. hatte es während seiner Studienzeit in Zürich
mit der Moral sicher ebensowenig genau genommen wie andere junge Männer.
Zweifellos stach
John D. aus der Daruwalla-Sippe hervor; er war so heiter und gelassen, so himmlisch
ruhig wie die Töchter Daruwalla umtriebig. Die drei Mädchen waren fasziniert von
den eher unsympathischen europäischen Gästen des Hotels Bardez, klammerten sich
aber dennoch an John D. Er war ihr [271] Beschützer, wann immer ihnen die jungen Frauen
oder die jungen Männer in ihren Tangahöschen und Minibikinis zu nahe kamen. In Wirklichkeit
machten sich diese jungen Leute wohl nur an die Familie Daruwalla heran, um John
D. besser betrachten zu können, dessen grandiose Schönheit die anderer junger Männer
im allgemeinen und anderer Neunzehnjähriger im besonderen völlig in den Schatten
stellte.
Selbst Farrokh neigte
dazu, John D. mit offenem Mund anzustarren, obwohl er von Jamshed und Josefine wußte,
daß er sich nur für die Schauspielerei interessierte und daß er gerade dafür unverhältnismäßig
schüchtern war. Aber der bloße Anblick dieses Jungen, dachte Farrokh, strafte alle
Bedenken, die sein Bruder und seine Schwägerin geäußert hatten, Lügen. Julia war
die erste, die behauptete, John D. sehe aus wie ein Filmstar; sie sagte, damit meine
sie, daß man ihn einfach ansehen mußte, selbst wenn er anscheinend nichts tat oder
an nichts dachte. Zudem machte Julia ihren Mann darauf aufmerksam, daß man John
D.s Alter fast nicht schätzen konnte. Frischrasiert war seine Haut so zart und weich,
daß er viel jünger aussah als neunzehn – fast präpubertär. Aber wenn er seinen Bart
wachsen ließ, selbst wenn es nur Eintagesstoppeln waren, wurde aus ihm ein erwachsener
Mann – mindestens Ende Zwanzig –, der clever und selbstsicher und gefährlich wirkte.
»Das ist es also,
was du mit Filmstar meinst?« fragte Farrokh seine Frau.
»Das ist es, was
Frauen attraktiv finden«, sagte Julia offenherzig. »Dieser Junge ist ein Mann und
zugleich ein Junge.«
Doch während der
ersten paar Urlaubstage war Dr. Daruwalla zu abgelenkt, um über John D.s Potential
als Filmstar nachzudenken. Julia hatte Farrokh wegen der Empfehlung des Hotels Bardez
aus Duckworthianer-Kreisen nervös gemacht. Es machte zwar Spaß, den europäischen
Plebs und die interessanten Goaner zu beobachten, aber was, wenn noch andere [272] Duckworthianer
im Hotel Bardez abstiegen? Das wäre so, als hätten sie Bombay gar nicht verlassen,
meinte Julia.
Und so suchte der
Doktor das Hotel nervös nach versprengten Duckworthianern ab, voller Angst, daß
die Sorabjees im Café-Restaurant auftauchen oder die Bannerjees vom Arabischen Meer
an den Strand gespült
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