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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Zeug durch den deutschen
Zoll zu bringen hoffte – und zuvor natürlich die D-Mark [318]  durch den indischen Zoll.
(Er schmuggelte deutsches Geld nach Indien und auf dem Rückweg dann Haschisch.)
Dieter hatte diese Tour schon früher mit amerikanischen Mädchen gemacht; hin und
wieder hatte er sich auch kanadischer Mädchen bedient, deren Pässe eher noch weniger
Mißtrauen erweckten.
    Mit allen diesen
Mädchen verfuhr Dieter nach dem gleichen einfachen Muster: Er flog nie zusammen
mit ihnen im selben Flugzeug, sondern vergewisserte sich erst, daß sie gut angekommen
waren und den Zoll passiert hatten, bevor er ein Flugzeug nach Bombay bestieg. Er
hatte immer darauf bestanden, daß sie sich in einem bequemen Zimmer im Taj Mahal
von der Zeitverschiebung erholten, denn sobald er eintraf, gab es »ernsthafte Geschäfte«
zu erledigen. Damit meinte er, daß sie dann in einer weniger auffälligen Unterkunft
logieren würden; außerdem wußte er, daß die Busfahrt von Bombay nach Goa recht beschwerlich
sein konnte. Dieter hätte das, was er haben wollte, in Bombay kaufen können, wurde
aber unweigerlich dazu überredet – meist von dem Freund eines Freundes –, seinen
Einkauf in Goa zu tätigen. Haschisch war dort teurer, weil die europäischen und
amerikanischen Hippies das Zeug aufkauften wie Wasser in Flaschen, aber auf die
Qualität konnte man sich eher verlassen. Und in Frankfurt kam es auf die Qualität
an, wenn man einen guten Preis erzielen wollte.
    Bei der Rückkehr
nach Deutschland flog Dieter einen Tag vor der auserkorenen jungen Frau. Wenn sie
vom deutschen Zoll aufgehalten wurde, nahm er das als Warnung, sich nicht mit ihr
zu treffen. Aber er hatte eine Methode entwickelt, bei der noch keiner seiner weiblichen
Kuriere je erwischt worden war – weder auf der einen noch auf der anderen Seite.
    Dieters Frauen waren
mit jener Sorte abgegriffener Reiseführer und Taschenbuchromane ausgestattet, die
auf äußerste Solidität schließen ließen. Die Reiseführer hatten Eselsohren und waren
vollgekritzelt, um die Aufmerksamkeit der Zollbeamten [319]  auf kulturell oder historisch
bedeutsame Aspekte zu lenken, die so todlangweilig waren, daß sich sicher nur höhere
Semester des entsprechenden Fachbereichs dafür interessierten. Die Taschenbuchromane,
von Autoren wie Hermann Hesse oder Lawrence Durrell, waren ziemlich klassische Hinweise
darauf, daß ihre Leserinnen einen Hang zur Mystik und zur Poesie hatten, woraus
die Zollbeamten schließen sollten, daß Geld im Leben dieser jungen Frauen kein Thema
war. Und ohne finanzielle Beweggründe hatten sie bestimmt auch kein Interesse am
Drogenhandel.
    Allerdings waren
diese jungen Frauen nicht über den Verdacht erhaben, gelegentlich Drogen zu nehmen,
so daß ihre persönliche Habe gründlich nach einem bescheidenen Mundvorrat durchsucht
wurde. Nie wurde auch nur die Spur eines Beweises gefunden. Es ließ sich nicht leugnen,
daß Dieter clever vorging; eine große Menge des Stoffs hatte er stets mit Erfolg
in einem hundesicheren Behälter versteckt – ein simpler, aber genialer Trick.
    Rückblickend gab
die arme Nancy zu, daß die Triebfeder von Dieters Einfällen seine ungezügelte sexuelle
Verderbtheit war. In der relativen Sicherheit der Daruwallaschen Badewanne im Hotel
Bardez überlegte Nancy, daß strenggenommen nur der Sex sie dazu bewogen hatte, bei
Dieters Geschäften mitzumachen. Ihre Footballspieler waren nette Einfaltspinsel
gewesen, und sie selbst hatte sich die meiste Zeit mit Bier bedudelt. Bei Dieter
rauchte sie genau die richtige Menge Haschisch oder Marihuana, denn Dieter war kein
Einfaltspinsel. Er hatte das ausgemergelte gute Aussehen eines jungen Mannes, der
erst kürzlich von einer lebensbedrohenden Krankheit genesen war. Wäre er nicht ermordet
worden, hätte er sich ohne Zweifel zu einem jener Männer entwickelt, die sich immer
jüngere und naivere Frauen suchen und deren sexuelles Verlangen sich immer mehr
darauf kapriziert, die unschuldigen Mädchen immer noch [320]  entwürdigenderen Erfahrungen
auszusetzen. Denn kaum hatte er Nancy etwas sexuelles Selbstvertrauen gegeben, untergrub
er es auch schon wieder. Er brachte sie dazu, an sich selbst zu zweifeln und sich
in einem Maß zu verabscheuen, das sie nie für möglich gehalten hätte.
    Zu Beginn hatte
Dieter sie einfach gefragt: »Was war die erste sexuelle Erfahrung, bei der du dich
gut und sicher gefühlt hast?« Und als sie nicht antwortete – weil sie im stillen
dachte, daß das

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