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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wissen, daß Homosexuelle, egal in welches
Land sie einreisten, grundsätzlich schlecht behandelt würden. Dieter erzählte Nancy
auch, daß er verbotenerweise eine Unmenge deutsches Geld bei sich haben würde und
sie nur deshalb nicht gemeinsam flogen, weil er verhindern wollte, daß sie in die
Sache hineingezogen würde, falls man ihn erwischte.
    Während sich Nancy
in der Badewanne des Hotel Bardez einweichte, fragte sie sich, warum sie ihm geglaubt
hatte; aber im nachhinein ist man immer klüger. Nancy überlegte, daß es Dieter keine
Mühe gekostet hatte, sie dazu zu überreden, den Dildo nach Bombay zu bringen. Es
war nicht das erste Mal gewesen, daß ein Dildo so problemlos nach Indien gelangt
war. Aber eine Menge Unannehmlichkeiten bereitete dieses Ding eben doch.
    [323]  Nancy war noch
nie im Osten gewesen und machte die erste Bekanntschaft damit am Flughafen von Bombay,
ungefähr um zwei Uhr nachts. Sie hatte noch nie Menschen erlebt, die durch ständigen
Lärm und eigene exzessive Geschäftigkeit so geschädigt und so verändert worden waren;
ihr unablässiger Bewegungsdrang und ihre aggressive Neugier erinnerten sie an hin
und her huschende Ratten. Viele von ihnen waren auch noch barfuß. Nancy versuchte
sich auf den Zollinspektor zu konzentrieren, dem zwei Polizisten zur Hand gingen.
Diese Polizisten – Wachtmeister in blauen Hemden und kurzen, weiten blauen Hosen
– waren zwar nicht barfuß, trugen aber die absurdesten Stulpen an den Beinen, die
Nancy je gesehen hatte, zumal in Anbetracht der Hitze. Und Nehru-Kappen hatte sie
auch noch nie an Polizisten gesehen.
    In Frankfurt hatte
sich Dieter darum gekümmert, daß sich Nancy untersuchen und ein geeignetes Diaphragma
verpassen ließ, doch als der Arzt feststellte, daß sie eine Geburt hinter sich hatte,
setzte er ihr statt dessen eine Spirale ein. Sie hatte sie eigentlich nicht gewollt,
doch als der Zollinspektor ihre Toilettenartikel durchsuchte und einer der aufpassenden
Polizisten ein Töpfchen mit Feuchtigkeitscreme aufmachte und mit dem Finger einen
dicken Klecks Creme herausholte, an dem der andere Polizist dann roch, war Nancy
dankbar, daß sie kein Diaphragma und keine spermientötende Salbe dabei hatte, mit
denen die beiden hätten herumspielen können. Ihre Spirale konnten die Polizisten
weder sehen noch riechen, noch anfassen.
    Aber natürlich war
da noch der Dildo, der unangetastet in der langen Sportsocke lag, während die Polizisten
und der Zollinspektor die Kleidung in ihrem Rucksack durchwühlten und die Tasche
mit dem Handgepäck ausleerten, bei der es sich im Grunde nur um einen überdimensionalen
Kunstlederbeutel handelte. Ein Polizeibeamter nahm das lädierte Taschenbuchexemplar
von Lawrence Durrells Clea in die Hand, den vierten Roman der Alexandria-Tetralogie, von der Dieter nur den
ersten [324]  gelesen hatte, nämlich Justine . Nancy hatte gar keinen gelesen;
aber der Roman hatte ein Eselsohr an der Stelle, an der die letzte Leserin vermutlich
mit der Lektüre aufgehört hatte, und an dieser eingemerkten Seite schlug der Polizist
das Buch auf und fand auch gleich den Abschnitt, den Dieter mit Bleistift für genau
diesen Zweck angestrichen hatte. Tatsächlich hatte dieses Exemplar von Clea die Reise nach Indien und zurück
bereits mit zweien von Dieters Frauen gemacht, von denen keine den Roman oder auch
nur die gekennzeichnete Passage gelesen hatte. Dieter hatte diesen Abschnitt eigens
ausgesucht, weil er die Leserin in den Augen jeder internationalen Zollbehörde zweifellos
als harmlose Närrin erscheinen lassen würde.
    Der Polizist war
von diesem Abschnitt so matt gesetzt, daß er das Buch seinem Kollegen reichte, der
ein betroffenes Gesicht machte, als hätte man ihn aufgefordert, einen nicht dechiffrierbaren
Code zu knacken; auch er reichte das Buch weiter. Schließlich las der Zollinspektor
den Abschnitt. Nancy beobachtete, wie der Mann unbeholfen und ohne es zu wollen
die Lippen bewegte, als würde er Olivenkerne abknabbern. Nach und nach kamen die
Worte oder etwas Ähnliches laut aus seinem Mund; Nancy erschienen sie unverständlich.
Sie konnte sich nicht vorstellen, welchen Reim sich der Zollinspektor und die Polizisten
darauf machten.
    »›Das ganze Viertel
lag dösend im schattenspendenden Violett der hereinbrechenden Nacht‹«, las der Zollinspektor.
»›Ein Himmel aus bebendem Velours, in den das grelle Leuchten von tausend elektrischen
Glühbirnen schnitt. Er lag in jener Nacht über der Tatwig Street wie

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