Zirkuskind
Masturbieren die einzige sexuelle Erfahrung war, bei der sie sich
überhaupt gut und sicher fühlte –, sagte er plötzlich: »Masturbieren, stimmt’s?«
»Ja«, sagte Nancy
leise. Er ging sehr behutsam vor. Zunächst redeten sie nur darüber.
»Jeder Mensch ist
anders«, meinte Dieter philosophisch. »Du mußt einfach lernen, was für dich persönlich
am besten ist.«
Dann erzählte er
ihr ein paar Geschichten, damit sie sich entspannte. Einmal, als Heranwachsender,
hatte er aus der Wäscheschublade der Mutter seines besten Freundes einen Slip entwendet.
»Nachdem er seinen Geruch verloren hatte, habe ich ihn in die Schublade zurückgelegt
und einen neuen geklaut«, erzählte er Nancy. »Das Reizvolle am Masturbieren war,
daß ich immer Angst hatte, dabei erwischt zu werden. Ich kannte mal ein Mädchen,
bei der hat es nur im Stehen funktioniert.«
»Ich muß mich hinlegen«,
sagte Nancy.
Allein dieses Gespräch
war intimer als alles, was sie je erlebt hatte. Es schien ganz natürlich, daß er
sie dazu brachte, ihm zu zeigen, wie sie masturbierte. Sie lag steif auf dem Rücken
und hielt mit der linken Hand die linke Pobacke fest. Sie vermied es stets, die
Stelle zu berühren (wenn sie das tat, funktionierte es nie). Statt dessen rieb sie
sich unmittelbar darüber mit drei Fingern der rechten Hand – Daumen und kleiner
Finger waren abgespreizt wie Flügel. Sie drehte das Gesicht auf die Seite, und Dieter
legte sich neben sie, küßte sie, bis sie sich von ihm [321] wegdrehen mußte, um Luft
zu bekommen. Als sie fertig war, drang er in sie ein; zu dem Zeitpunkt war sie immer
erregt.
Einmal, nachdem
sie fertig war, sagte er: »Dreh dich auf den Bauch. Warte einen Augenblick. Ich
habe eine Überraschung für dich.« Als er zurückkam, kuschelte er sich neben sie
ins Bett, küßte sie wieder und wieder – tiefe Zungenküsse –, während er eine Hand
unter sie schob, bis er sie mit den Fingern berühren konnte, genau so, wie sie sich
selbst berührt hatte. Beim erstenmal sah sie den Dildo überhaupt nicht.
Langsam begann er
mit der anderen Hand, das Ding in sie hineinzuschieben; anfangs drückte sie gegen
seine Finger, als wollte sie davon wegkommen, aber später hob sie sich an, um dem
Dildo entgegenzukommen. Er war sehr groß, aber Dieter tat ihr nicht weh damit, und
wenn sie so erregt war, daß sie aufhören mußte, ihn zu küssen – weil sie schreien
mußte –, nahm er den Dildo heraus und drang selbst in sie ein, von hinten und während
seine Finger sie weiter berührten und streichelten. (Verglichen mit dem Dildo war
Dieter ein bißchen enttäuschend.)
Nancys Eltern hatten
sie einmal gewarnt, daß man vom »Experimentieren mit Sex« verrückt werden könnte,
aber der Wahnsinn, den Dieter entfacht hatte, erschien ihr nicht gefährlich. Trotzdem
war das nicht der beste Grund, um nach Indien zu fahren.
Eine denkwürdige Ankunft
Es hatte
einigen Ärger mit Nancys Visum gegeben, und sie machte sich Sorgen, ob sie auch
alle erforderlichen Impfungen bekommen hatte. Da sie die deutschen Bezeichnungen
dafür nicht kannte, wußte sie nicht genau, wogegen sie geimpft worden war. Sie war
überzeugt, daß sie zu viele Malariatabletten einnahm, aber Dieter konnte ihr auch
nicht sagen, wie viele sie [322] brauchte. Krankheiten gegenüber schien er gleichgültig
zu sein. Er machte sich mehr Gedanken darum, daß ein indischer Zollbeamter den Dildo
konfiszieren könnte – aber nur, wenn Nancy sich Mühe gab, ihn zu verstecken, meinte
er. Dieter bestand darauf, daß sie ihn ganz selbstverständlich zu ihren Toilettensachen
tat, ins Handgepäck. Aber das Ding war riesengroß. Schlimmer noch, es war schauerlich
rosafarben, wie imitiertes Fleisch, und die Spitze, die einem beschnittenen Penis
nachgebildet war, hatte eine bläuliche Färbung – Nancy kam es vor wie ein Glied,
das man in der Kälte draußen gelassen hatte. Und wo sich die falsche Vorhaut einrollte,
hatte sich ein Rest von dem Gleitmittel festgesetzt, der sich nie ganz wegwischen
ließ. Nancy steckte den Dildo in eine alte weiße Sportsocke – eines dieser langen
Dinger, die bis zur Wade reichen. Sie hoffte inständig, die indischen Zollbeamten
würden ihm irgendeinen unsäglichen medizinischen Zweck zuschreiben – bloß nicht
den offensichtlichen Zweck, dem er diente. Verständlicherweise wollte sie, daß Dieter
ihn mitnahm, aber er machte ihr klar, daß ihn die Zollbeamten dann für einen Homosexuellen
halten würden; und eigentlich müßte sie
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