Zirkuskind
Ding nicht als Schwanz bezeichnen.«
»Was immer es ist,
sie hat es an die Wand geworfen, glaube ich«, sagte Farrokh.
Im Bad gurgelte
noch immer das Wasser. Unter ihnen, im Innenhof, war der bhangi von seinem Nickerchen im Schatten
der Topfpflanze erwacht. Sie konnten hören, wie er sich mit Punkaj, dem Laufburschen,
über das Erbrochene des Doktors unterhielt. Nach Punkajs Ansicht war der Schuldige
ein Hund.
Erst als Nancy in
der Wanne aufstand, um sich abzutrocknen, erinnerte sie ihr schmerzender Fuß daran,
warum sie hergekommen war. Jede kleine Operation, die nötig sein würde, um den [366] Glassplitter
zu entfernen, war ihr willkommen; sie befand sich in einem Zustand, in dem sie ein
gewisses Maß an bevorstehendem Schmerz fast als läuternd empfand.
»Bist du ein Feigling,
Dieter?« flüsterte Nancy vor sich hin, nur um es sich noch einmal sagen zu hören,
denn die Genugtuung war von recht kurzer Dauer gewesen.
Das junge Mädchen
im Bus, das ursprünglich aus Seattle kam, entpuppte sich als eine dieser Ashram-Groupies,
die quer durch den Subkontinent reisten und ständig die Religion wechselten. Sie
erzählte, man habe sie aus dem Pandschab hinausgeworfen, weil sie in den Augen der
Sikhs etwas Beleidigendes getan hatte, obwohl sie keine Ahnung hatte, was das hätte
sein können. Sie trug ein enganliegendes, tief ausgeschnittenes Top, das deutlich
erkennen ließ, daß sie keinen BH anhatte. An ihren
Handgelenken klimperten ein paar silberne Armreifen, die sie hier erstanden hatte.
Der Verkäufer hatte ihr weisgemacht, sie hätten zu einer Aussteuer gehört. (Aus
dem dafür üblichen Material waren sie nicht.)
Das Mädchen hieß
Beth. Ihre Begeisterung für den Buddhismus hatte sie eingebüßt, als ein hochrangiger
Bodhisattwa versucht hatte, sie mit chang zu verführen. Nancy dachte zunächst,
das sei etwas zum Rauchen, aber Dieter klärte sie auf, daß das tibetanisches Reisbier
war, von dem den meisten Leute aus dem Westen angeblich schlecht wurde.
Während ihres Aufenthaltes
in Maharashtra sei sie in Poona gewesen, erzählte Beth, aber nur, um ihre Verachtung
für ihre amerikanischen Landsleute zum Ausdruck zu bringen, die im Ashram Rajneesh
meditierten. Ihre Vorliebe für das, was sie als »kalifornische Meditation« bezeichnete,
hatte sie ebenfalls eingebüßt. Ihr würde kein »mieser Exportguru« mehr etwas vormachen
können.
Derzeit ging Beth
mit einem »wissenschaftlichen Ansatz« an den Hinduismus heran. Da sie noch nicht
in der Lage war, die [367] Veden – die uralten religiösen Texte der Hindus, sozusagen
ihre Heilige Schrift – ohne Anleitung zu studieren, wollte sie mit einer eigenen
Interpretation der Upanishaden, die sie derzeit las, beginnen. Sie zeigte Nancy und Dieter das
kleine Buch mit geistigen Abhandlungen, eines jener schmalen Bändchen, in denen
Einleitung und Anmerkungen zur Übersetzung mehr Platz einnahmen als der Text.
Beth fand es nicht
sonderbar, daß sie, um sich eingehend mit dem Hinduismus zu beschäftigen, nach Goa
reiste, das mehr christliche als andersgläubige Pilger anlockte; sie gab zu, daß
es ihr mehr um die Strände ging und um die Gesellschaft von ihresgleichen. Außerdem
würde bald überall die Regenzeit einsetzen, und bis dahin wollte sie in Rajasthan
sein, weil die Seen dort in der Regenzeit angeblich sehr reizvoll seien und sie
von einem Ashram an einem See erfahren hatte. In der Zwischenzeit war sie dankbar
für Nancys und Dieters Gesellschaft. Es machte keinen Spaß, sich in Indien als Frau
allein durchschlagen zu müssen, wie Beth ihnen versicherte.
Um ihren Hals hing
eine Rohlederschnur mit einem polierten Stein in Form einer Vulva. Beth erklärte,
dies sei ihre yoni ,
ein Gegenstand, der in Shivatempeln verehrt wurde. Das linga, das den Phallus des Gottes Shiva
symbolisiert, wird in die vulvaförmige yoni gelegt, die die Vagina von Shivas
Frau Parvati versinnbildlicht. Priester gießen ein Trankopfer über die beiden Symbole,
das aufgefangen und von den Gläubigen als eine Art Kommunion entgegengenommen wird.
Nach dieser verwirrenden
Erläuterung ihres ungewöhnlichen Halsbandes war Beth erschöpft, rollte sich auf
dem Sitz neben Nancy zusammen und schlief schließlich mit dem Kopf auf deren Schoß
ein. Dieter, der auf der anderen Seite des Ganges saß, schlief ebenfalls ein, aber
erst nachdem er zu Nancy gesagt hatte, es wäre doch ein Mordsspaß, Beth den Dildo
zu zeigen. »Soll sie doch diesen linga in ihre blöde yoni stecken«, sagte
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