Zirkuskind
er auf seine [368] geschmacklose
Art, die Nancy widerlich fand. Sie blieb wach, während der Bus durch Maharashtra
fuhr.
In der Dunkelheit
lieferte der Kassettenrecorder des Busfahrers, der ausschließlich Qawwali spielte,
ein gleichmäßiges Hintergrundgeräusch. Er war leise gestellt, und Nancy empfand
die religiösen Gesänge als beruhigend. Natürlich wußte sie nicht, daß es sich um
muslimische Verse handelte, aber das hätte sie auch nicht gestört. Beths Atem strich
weich und regelmäßig über ihre Oberschenkel. Nancy überlegte, wie lange sie schon
keine Freundin mehr gehabt hatte – einfach eine Freundin.
Die Dämmerung in
Goa war sandfarben. Erstaunt stellte Nancy fest, wie kindlich Beth im Schlaf wirkte.
Mit ihren zwei kleinen Händen umklammerte die Herumtreiberin die steinerne Vagina,
als besäße diese genug Kraft, um sie vor allem Bösen auf dem Subkontinent zu schützen
– sogar vor Dieter und Nancy.
In Mapusa stiegen
alle drei in einen anderen Bus um, weil ihr Bus nach Panjim weiterfuhr. Sie verbrachten
einen langen Tag in Calangute, während Dieter seinen Geschäften nachging, die darauf
hinausliefen, daß er die Leute an der Bushaltestelle wiederholt mit Fragen über
Rahul belästigte. In der Baga Road machten sie an sämtlichen Bars, Hotels und Erfrischungsständen
halt, und überall unterhielt sich Dieter mit jemandem unter vier Augen, während
Beth und Nancy warteten. Alle Befragten behaupteten, von Rahul gehört zu haben,
aber keiner hatte ihn je zu Gesicht bekommen
Dieter hatte in
der Nähe des Strandes ein Häuschen gemietet. Es hatte nur ein Bad, und Toilette
und Badewanne mußten von Hand gespült und gefüllt werden; das Wasser holte man mit
Eimern aus einem Brunnen im Freien. Immerhin gab es zwei große Betten, die ziemlich
sauber aussahen, und eine Art hölzernes Trenngitter, das fast wie eine Wand für
etwas Intimität sorgte. Außerdem war ein Propangaskocher vorhanden, mit dem man
Wasser abkochen konnte. An der Decke hing, in der [369] optimistischen Zuversicht,
daß es hier eines Tages auch Strom geben würde, reglos ein Deckenventilator. Die
Fenster hatten zwar keine Fliegengitter, aber über beiden Betten hingen Moskitonetze
in einem halbwegs brauchbaren Zustand. Draußen befand sich eine Zisterne mit frischem
(wenn auch nicht gerade sauberem) Wasser; das Wasser aus dem Brunnen, das zum Spülen
der Toilette und zum Baden diente, war leicht salzig. Neben der Zisterne war ein
Verschlag aus Palmblättern; wenn man dafür sorgte, daß die Blätter naß blieben,
ließen sich Mineralwasser, Saft und frisches Obst dort ausreichend kühlen. Beth
war enttäuscht, daß sie ein ganzes Stück vom Strand entfernt wohnten. Obwohl man
das Arabische Meer hören konnte, vor allem nachts, mußten sie einen Streifen mit
welken, vergammelten Palmwedeln überqueren, bevor der Sand anfing und sie das Wasser
überhaupt sehen konnten.
Sowohl der bescheidene
Luxus als auch die Unannehmlichkeiten waren Nancy gleichgültig, weil sie unmittelbar
nach der Ankunft krank wurde. Sie mußte sich ständig übergeben, und heftiger Durchfall
schwächte sie in kürzester Zeit so, daß Beth ihr das Wasser zum Spülen der Toilette
holen mußte. Beth füllte auch die Badewanne, damit Nancy baden konnte. Nancy hatte
Fieber und derart heftige Schüttelfröste und Schweißausbrüche, daß sie Tag und Nacht
im Bett blieb, außer wenn Beth die Laken abzog und sie dem dhobi gab, der die Wäsche abholte.
Dieter ekelte sich
vor ihr. Er hielt weiterhin Ausschau nach Rahul. Beth kochte für Nancy Tee und brachte
ihr frische Bananen; sobald es Nancy etwas besser ging, kochte sie ihr Reis. Wegen
des Fiebers wälzte und warf sich Nancy die ganze Nacht hin und her, so daß Dieter
sich weigerte, mit ihr im selben Bett zu schlafen. Beth schlief neben ihr ganz am
Rand des Bettes, Dieter schlief hinter der Trennwand, allein. Nancy nahm sich vor,
mit Beth nach Rajasthan zu fahren, sobald sie wieder gesund war. Sie hoffte, daß
ihre Krankheit Beth nicht abgestoßen hatte.
[370] Dann, eines Abends,
wachte Nancy auf und fühlte sich etwas besser. Sie dachte, das Fieber sei verschwunden,
weil sie einen so klaren Kopf hatte. Sie glaubte das Erbrechen und den Durchfall
hinter sich zu haben, weil sie einen solchen Heißhunger verspürte. Dieter und Beth
waren in die Disco in Calangute gegangen. Da gab es einen Schuppen, der Coco Banana
oder so ähnlich hieß und in dem Dieter eine Menge Fragen über Rahul gestellt hatte.
Dieter
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