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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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seine
Untergebenen sogar zu wissen, daß er ihre zusammengeschusterten Berichte umschrieb
und sie ihnen irgendwann am Nachmittag samt den überarbeiteten Versionen auf den
Schreibtisch legen würde, versehen mit einem einfallsreichen Sortiment an beleidigenden
Kommentaren – denn nach Detective Patels Ansicht wußte keiner von ihnen, wie man
einen anständigen Bericht verfaßte. Und die Sekretäre würden wegen ihrer Tippfehler
ins Gebet genommen werden. Der Kommissar hatte von den Sekretären eine so schlechte
Meinung, daß er seine Berichte selbst tippte.
    Martins Mutter macht ihn krank
    Das Trachom,
eine chlamydienbedingte Bindehautentzündung und eine der Hauptursachen für Blindheit
in der Welt, ist in seinen frühesten Stadien leicht zu behandeln. In Ganeshs Fall
war die Hornhaut noch nicht vernarbt. A-HNO- Jeejeebhoy hatte drei Wochen Tetracyclin
zum Einnehmen und eine Tetracyclinsalbe verschrieben. Manchmal sind eben mehrere
Behandlungszyklen erforderlich, hatte Doktor Jeejeebhoy erklärt, aber damit würden
die triefenden Augen des Elefantenjungen wahrscheinlich wieder klar werden.
    »Sehen Sie?« sagte
Martin Mills zu Dr. Daruwalla. »Wir haben dem Jungen bereits etwas Gutes getan.
Das war doch nicht schwer, oder?«
    Irgendwie kam es
dem Doktor illoyal vor, daß sie mit einem Taxi fuhren, das nicht von Vinod chauffiert
wurde; es war nicht einmal ein Taxi seines Unternehmens. Ganz ungefährlich war das
offenbar auch nicht, denn der altersschwache Fahrer hatte sie gewarnt, daß er sich
in Bombay nicht auskannte. Bevor sie zur Missionsstation in Mazgaon fuhren, setzten
sie den Betteljungen [526]  wunschgemäß an der Chowpatty Beach ab. Dr. Daruwalla konnte
sich die Bemerkung nicht verkneifen, daß der kleine Krüppel es ohne Zweifel kaum
erwarten konnte, seine Klamotten aus der Fashion Street zu verkaufen.
    »Sie sind wirklich
zynisch«, sagte der Scholastiker.
    »Das Tetracyclin
verkauft er vermutlich auch«, entgegnete Farrokh. »Wahrscheinlich ist er blind,
bevor er den Zirkus überhaupt zu Gesicht bekommt.«
    Während Farrokh
den Missionar nach St. Ignatius begleitete, fühlte er sich so niedergeschlagen,
daß er im stillen bittere Entscheidungen traf. Er beschloß, nie wieder ein Drehbuch
für einen Inspector-Dhar-Film zu schreiben, und er beschloß, eine Pressekonferenz
zu geben, bei der er die ganze Schuld für das Zustandekommen der Inspector-Dhar-Filme
auf sich nehmen würde.
    Von solchen Gedanken
abgelenkt und, wie stets in Bombay, ein nervöser Fahrgast – selbst wenn Vinod am
Steuer saß, der recht ordentlich fuhr –, schreckte Dr. Daruwalla plötzlich auf,
als ihr Taxi um ein Haar einen Fußgänger anfuhr. Martin Mills ließ sich von diesem
Beinaheunfall nicht in seinem Stegreifvortrag über den Jainismus stören. »Das ist
ein präbuddhistischer Ableger des Hinduismus«, verkündete er. Die Jainas seien absolut
rein, erklärte der Missionar. Sie äßen nicht nur kein Fleisch, sondern auch keine
Eier; töteten keine Lebewesen, nicht einmal eine Fliege; badeten jeden Morgen. Er
würde zu gern einen Jaina kennenlernen, meinte Martin. So schnell hatte er das morgendliche
Chaos hinter sich gelassen, sofern er es nicht überhaupt ganz vergessen hatte.
    Ohne logischen Übergang
stürzte sich der Missionar auf das abgedroschene Thema Gandhi. Farrokh überlegte,
wie er das Gespräch in andere Bahnen lenken könnte; vielleicht könnte er einwenden,
ihm sei der Krieger Shivaji lieber als Gandhi – der hatte nichts mit diesem Blödsinn
von wegen die andere Wange hinhalten im Sinn! Doch bevor der Doktor auch nur einen
Satz [527]  des von Gandhi begeisterten Scholastikers entkräften konnte, wechselte dieser
Mills erneut das Thema.
    »Ich persönlich
interessiere mich ja mehr für Shirdi Sai Baba«, sagte der Missionar.
    »Ach ja, den Jesus
von Maharashtra«, entgegnete Farrokh im Spaß. Sai Baba war der Schutzpatron der
Zirkusartisten, und viele von ihnen trugen kleine Shirdi-Sai-Baba-Medaillons um
den Hals – das hinduistische Pendant zu den Christopherus-Medaillen. In den Wohnzelten
des Great Royal und des Great Blue Nile hingen Shirdi-Sai-Baba-Kalender. Die Grabstätte
des Heiligen befand sich in Maharashtra.
    »Die Parallelen
zu Jesus sind verständlich«, dozierte Martin Mills, »obwohl Sai Baba ein Teenager
war, bevor man auf ihn aufmerksam wurde, und ein alter Mann, Mitte Achtzig, als
er starb… 1918 war das, glaube ich.«
    »Aufgrund der Abbildungen
hatte ich immer den Eindruck, daß er

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