Zirkuskind
so
überzeugend für die Unterstützung seines persönlichen Kreuzzuges, daß er damit ein
ebenso hohes philanthropisches Image erlangte wie alle anderen Wohltäter Bombays:
Er machte Fernsehwerbung für die Klinik für Verkrüppelte Kinder. Die Werbespots,
die er selbst finanzierte, zeigten eine phantastische Wirkung. (Das Konzept für
diese Sponsorenwerbung stammte natürlich auch von Dr. Daruwalla.)
Im Fernsehen steht
Inspector Dhar in Halbtotale vor der [74] Kamera, trägt ein loses, weißes Hemd – eine
kragenlose kurta im Mandarinstil – und behält sein
antrainiertes Hohnlächeln nur so lange bei, wie er nach eigenem Ermessen braucht,
um die volle Aufmerksamkeit der Zuschauer zu erringen. Dann sagt er: »Vielleicht
hassen Sie mich voller Inbrunst – ich verdiene eine Menge Geld und gebe niemandem
etwas davon ab, außer diesen Kindern.« Dann folgen mehrere Aufnahmen von Dhar inmitten
der verkrüppelten Kinder in der orthopädischen Klinik: Ein mißgebildetes kleines
Mädchen krabbelt auf Inspector Dhar zu, der ihm die Hand entgegenstreckt; Inspector
Dhar wird von Kindern in Rollstühlen umringt; Inspector Dhar hebt einen kleinen
Jungen aus einem sprudelnden Unterwassermassagebecken und trägt ihn auf einen sauberen
weißen Tisch, wo ihm zwei Schwestern seine Beinschienen anlegen – die Beine des
Jungen sind dünner als seine Arme.
Trotzdem wurde Inspector
Dhar nach wie vor gehaßt; gelegentlich wurde er sogar angegriffen. Einheimische
Schläger wollten feststellen, ob er so zäh und im Kampfsport so geübt war wie der
Polizeibeamte, den er darstellte. Offenbar war er das. Auf Beschimpfungen und Beleidigungen
reagierte er stets mit einer eigenartig verhaltenen Version seines Hohnlächelns.
Das sah dann so aus, als sei er leicht betrunken. Wurde er körperlich bedroht, zögerte
er nicht, es mit gleicher Münze heimzuzahlen. Als ihn einmal ein Mann mit einem
Stuhl angriff, parierte Dhar mit einem Tisch. Er stand in dem Ruf, so gefährlich
zu sein wie der Leinwandheld. Gelegentlich hatte er seinen Gegnern ein paar Knochen
gebrochen oder, vielleicht dank seiner orthopädischen Kenntnisse, mehrere Gelenke
übel ausgerenkt. Wenn er es darauf anlegte, konnte er echten Schaden anrichten.
Dabei forderte Dhar diese Prügeleien nicht heraus, er gewann sie nur einfach.
Seine kitschigen
Filme wurden im Eiltempo abgedreht, seine Auftritte in der Öffentlichkeit waren
äußerst selten. Gerüchten zufolge verbrachte er so gut wie gar keine Zeit in Bombay.
Sein [75] Chauffeur war ein unfreundlicher Zwerg, ein ehemaliger Zirkusclown, den
die Filmjournaille dreist als Schläger etikettiert hatte. (Vinod war stolz auf diese
Bezeichnung.) Und abgesehen von der beträchtlichen Anzahl Inderinnen, die mit Dhar
ausgegangen waren, war nichts über irgendwelche Freundschaften des Schauspielers
bekannt. Die einzige Freundschaft, von der man wußte – mit einem seltenen Besucher
Bombays, einem chirurgischen Konsiliar an der Klinik für Verkrüppelte Kinder, der
im Ausland immer wieder Gelder für diese Institution aufzutreiben versuchte –, wurde
als alte Beziehung akzeptiert,die der Zudringlichkeit der Medien erfolgreich widerstanden
hatte. Dr. Daruwalla, ein bekannter kanadischer Arzt und Familienvater, Sohn des
ehemaligen Chefs der Klinik für Verkrüppelte Kinder in Bombay (des verstorbenen
Dr. Lowji Daruwalla), äußerte sich der Presse gegenüber vernichtend knapp. Dr. Daruwallas
Standardantwort auf Fragen nach seiner Beziehung zu Inspector Dhar lautete: »Ich
bin Arzt, keine Klatschbase.« Außerdem sah man die beiden, den jüngeren mit dem
älteren, nur im Duckworth Club zusammen. Die Presse war dort nicht gern gesehen,
und die Mitglieder des Clubs mißbilligten Lauscher (sofern es sich nicht um den
alten Butler handelte) aufs schärfste.
Allerdings kursierten
allerlei Spekulationen darüber, wie es Inspector Dhar wohl gelungen war, Mitglied
im Duckworth Club zu werden. Filmstars waren dort nämlich auch nicht gern gesehen.
Und in Anbetracht der zweiundzwanzigjährigen Wartefrist und der Tatsache, daß der
Schauspieler bereits mit sechsundzwanzig Jahren Mitglied wurde, mußte Dhar im zarten
Alter von vier Jahren die Mitgliedschaft beantragt haben! Oder jemand hatte sie
für ihn beantragt. Dazu kam, daß für viele Duckworthianer nicht hinreichend ersichtlich
war, inwiefern sich Inspector Dhar als »führende Persönlichkeit des öffentlichen
Lebens« hervorgetan hatte. Einige Mitglieder wiesen auf [76] seine
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