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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Film!
    Außerdem hatte er
Ganesh eine Schwester an die Seite gegeben, ein sechsjähriges Mädchen namens Pinky.
Sie war eine recht begabte Straßenartistin, ein obdachloses Bettelkind, das allerlei
Kunststücke beherrschte. Julia ließ sich davon nicht irreführen. Sie kannte die
echte Pinky, die ein Zirkusstar war. Zudem war deutlich zu erkennen, daß Farrokh
für seine fiktive Pinky Anleihe bei Madhu genommen hatte, Deepas und Vinods jüngster [587]  Kindprostituierten. Allerdings war die Pinky im Film absolut unschuldig. Diese
fiktiven Kinder waren außerdem in der glücklichen Lage, eine Mutter zu haben. (Nicht
lange.)
    Die Mutter ist Putzfrau
in St. Ignatius, und die Jesuiten haben sie nicht nur eingestellt, sondern auch
bekehrt. Ihre Kinder sind streng vegetarisch lebende Hindus, die entsetzt sind über
die Bekehrung ihrer Mutter, vor allem über die Sache mit der Heiligen Kommunion.
Die Vorstellung, daß der Wein wirklich Christi Blut und das Brot wirklich sein Leib ist – durchaus verständlich, daß den
kleinen Vegetariern davon schlecht wird!
    Julia stellte entsetzt
fest, daß sich ihr Mann beim Schreiben schamlos bei anderen Autoren bediente. Zum
Beispiel hatte er die Erinnerungen einer Nonne geplündert, die unter anderem jene
schreckliche Geschichte enthielten, die er lange Zeit ungeheuer lustig gefunden
hatte – und der alte Lowji vor ihm. Die Nonne hatte viel Mühe darauf verwendet,
einen Stamm ehemaliger Menschenfresser zu bekehren. Es war schwierig, diesen Menschen
zu erklären, wie man sich die Sache mit dem Leib und dem Blut Christi in der Eucharistie
vorzustellen hatte. Da der Stamm zum Teil aus ehemaligen Kannibalen bestand, die
sich noch gut an Menschenfleisch erinnern konnten, weckte das theologische Konzept
von der heiligen Kommunion bei diesen Leuten allerlei Reminiszenzen.
    Julia stellte fest,
daß sich ihr Mann wie üblich in Ketzereien erging. Aber wo blieb Inspector Dhar?
    Julia rechnete halb
und halb damit, daß Dhar die Kinder retten würde, aber die Geschichte ging ohne
ihn weiter. Die Mutter kommt ums Leben, während sie in der St. Ignatius-Kirche kniet.
Eine Marienstatue fällt vom Podest und erschlägt sie; sie erhält auf der Stelle
die letzte Ölung. Ganesh trauert nicht übermäßig um sie. »Wenigstens war sie glücklich«,
hört man seine Stimme sagen. »Nicht jeder Christ hat das Glück, von der Jungfrau
Maria erschlagen zu werden.« Wenn es überhaupt einen [588]  Zeitpunkt gab, zu dem Dhar
als Retter hätte auftauchen können, dann jetzt, dachte Julia. Aber Dhar kam nicht.
    Statt dessen beginnen
die kleinen Bettler ein Spiel zu spielen, das sie »Limo-Roulette« nennen. Alle Straßenkinder
in Bombay wissen, daß es zwei besondere Limousinen gibt, die in der Stadt ihre Runden
drehen. In der einen sitzt ein Talentsucher für den Zirkus – ein Zwerg, der natürlich
Vinod heißt. Er ist ein ehemaliger Zirkusclown, der nach jungen, talentierten Artisten
Ausschau hält. Pinky ist so begabt, daß ihr verkrüppelter Bruder Ganesh denkt, Vinod
würde ihm erlauben, Pinky in den Zirkus zu begleiten, damit er sich um sie kümmern
kann. Das Problem ist nur, daß es noch einen anderen Späher gibt, einen Mann, der
Kinder für den Monstrositätenzirkus raubt. Er heißt der Säuremann, weil er den Kindern
Säure ins Gesicht schüttet und sie damit derart verunstaltet, daß die eigene Familie
sie nicht mehr erkennt. Jetzt kümmert sich nur noch der Monstrositätenzirkus um
sie.
    Farrokh ist also
wieder hinter Mr. Garg her, dachte Julia. Was für eine widerliche Geschichte! Selbst
ohne Inspector Dhar waren Gut und Böse wieder einmal genau definiert. Welcher Späher
würde die Kinder zuerst entdecken? Der Barmherzige Zwergsamariter oder der Säuremann?
    Die Limousinen rollen
durch die Nacht. Wir sehen einen eleganten Wagen an den Kindern vorbeifahren, die
ihm nachlaufen, sehen die Bremslichter aufleuchten, aber dann fährt der Wagen weiter;
andere Kinder rennen ihm nach. Wir sehen eine Limousine mit laufendem Motor am Straßenrand
stehen; die Kinder nähern sich ihr vorsichtig. Das Fenster auf der Fahrerseite öffnet
sich einen Spaltbreit, und Wurstfinger, die an Klauen erinnern, schieben sich über
den Rand der Glasscheibe. Als das Fenster heruntergekurbelt wird, kommt der große
Kopf des Zwergs zum Vorschein. Das ist die richtige Limousine, das ist Vinod.
    Oder es ist die
falsche Limousine. Die hintere Tür geht auf, [589]  ein frostiger Hauch dringt nach
draußen – wie aus einem

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