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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Anschließend nahm
sie im Ladies’ Garden Tee und etwas Obst zu sich und begab sich dann in ihren Fitneßclub,
um Gewichte zu stemmen und Seil zu springen. Mr. Lal hatte sie mit seinem frühmorgendlichen
Angriff auf die Bougainvilleen beim neunten Green völlig überrascht.
    Rahul war gerade
mit dem Pinkeln fertig und erhob sich aus dem blühenden Gebüsch, als der alte Trottel
über das Green dahergetrottet kam und durch das Dickicht tappte. Mr. Lal suchte
in diesem Dschungel nach einer schwierigen Stelle, um seinen blöden Golfball zu
deponieren. Als er aufblickte, stand die zweite Mrs. Dogar vor ihm. Er erschrak
derart, daß sie einen Augenblick lang glaubte, es wäre unnötig, ihn umzubringen.
Er griff sich an die Brust und taumelte rückwärts.
    »Mrs. Dogar!« rief
er. »Was ist denn mit Ihnen passiert? Hat sie jemand… belästigt?« Das brachte sie
überhaupt erst auf die Idee; schließlich war ihr Kleid bis zu den Hüften hochgeschoben.
Sichtlich verzweifelt zerrte sie das enganliegende Kleid herunter. (Zum Lunch würde
sie einen Sari anziehen.)
    »Ach, Mr. Lal! Gott
sei Dank, daß Sie es sind!« rief sie. »Man hat mich… ausgenutzt!« erklärte sie ihm.
    »Eine schreckliche
Welt, Mrs. Dogar! Aber wie kann ich Ihnen behilflich sein? Hilfe!« schrie der alte
Mann.
    »Ach nein, bitte!
Ich könnte es nicht ertragen, jemandem unter die Augen zu treten. Ich schäme mich
ja so!« vertraute sie ihm an.
    [635]  »Aber wie kann
ich Ihnen helfen, Mrs. Dogar?« erkundigte sich Mr. Lal.
    »Das Gehen bereitet
mit Schmerzen«, gestand sie ihm. »Sie haben mir weh getan.«
    »Sie? Um Himmels
willen!« rief der alte Mann.
    »Vielleicht könnten
Sie mir eines von Ihren Eisen leihen… wenn ich das als Stock benützen dürfte…«,
schlug Mrs. Dogar vor. Mr. Lal wollte ihr schon sein Neunereisen geben, überlegte
es sich dann aber anders.
    »Der Putter wäre
sicher am besten!« erklärte er. Der arme Mann war ganz außer Atem, nachdem er das
kurze Stück zu seiner Golftasche getrabt war und durch das dichte Gebüsch und die
ruinierten Sträucher hastig zurückgestolpert kam. Er war viel kleiner als Mrs. Dogar,
so daß sie ihm ihre eine große Hand auf die Schulter legen konnte, während sie in
der anderen den Putter hielt. Auf diese Weise konnte sie über den Kopf des alten
Mannes hinweg das Green und das Fairway überblicken. Kein Mensch weit und breit.
    »Sie könnten sich
auf dem Green ausruhen, während ich Ihnen einen Golfwagen hole«, schlug Mr. Lal
vor.
    »Ja, vielen Dank,
gehen Sie nur voraus«, sagte sie. Als er zielstrebig vorwärts stolperte, blieb sie
ihm dicht auf den Fersen. Noch bevor er das Green erreichte, hatte sie ihn bewußtlos
geschlagen. Der Hieb hatte ihn unmittelbar hinter dem Ohr getroffen. Nachdem er
umgefallen war, versetzte sie ihm einen zweiten Schlag direkt auf die ihr zugewandte
Schläfe, doch als dieser ihn traf, standen seine Augen bereits offen und bewegten
sich nicht mehr. Vermutlich hatte ihn bereits der erste Schlag getötet.
    Mrs. Dogar hatte
keine Mühe, in ihrer Tasche den ZweiRupien-Schein zu finden. Zwanzig Jahre lang
hatte sie ihre kleinen Scheine mit der Kappe jenes Kugelschreibers zusammengeklammert,
die sie aus dem Strandhäuschen in Goa [636]  gestohlen hatte. Sie hatte dieses alberne
Erinnerungsstück sogar regelmäßig poliert. Die Halterung – ihre Tante Promila hatte
sie immer als »Taschengeldklammer« bezeichnet – hatte die für eine kleine Anzahl
Geldscheine ideale Spannung beibehalten, und das polierte Silber sorgte dafür, daß
das Ding in der Handtasche leicht zu finden war. Rahul konnte es nicht ausstehen,
daß sich kleine Gegenstände in der Handtasche immer verkrochen.
    Sie hatte den Zwei-Rupien-Schein
in Mr. Lals offenstehenden Mund geschoben. Als sie ihn zumachte, mußte sie überrascht
feststellen, daß er wieder aufging. Sie hatte noch nie versucht, einem Toten den
Mund zu schließen, und war davon ausgegangen, daß sich dessen Körperteile relativ
gut bewegen ließen. Jedenfalls hatte sie diese Erfahrung im Umgang mit den Körperteilen
gemacht, die ihr bei ihren Bauchzeichnungen gelegentlich im Weg gewesen waren –
manchmal ein Ellbogen oder ein Knie – und die sie ohne weiteres anders legen konnte.
    Diese Kleinigkeit
mit Mr. Lals Mund irritierte sie so, daß sie unvorsichtig wurde. Zwar hatte sie
die restlichen kleinen Scheine wieder in ihre Tasche gesteckt, nicht aber die Kappe
des weitgereisten Kugelschreibers. Die mußte irgendwo zwischen die

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