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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Duckworth Club auftauchte, [632]  um seinen Wagen zu holen, wollte er sich bei dem
mißbilligenden Mr. Sethna entschuldigen, der allein schon die Vorstellung, im Freien
zu pinkeln, abstoßend fand.
    »Bin ich Ihnen besonders
betrunken vorgekommen, Mr. Sethna?« fragte Mr. Dogar den ehrwürdigen Butler. »Es
tut mir wirklich sehr leid… wenn ich mich wenig feinfühlig verhalten habe.«
    »Keine Ursache«,
entgegnete Mr. Sethna kühl. Er hatte bereits mit dem Obergärtner wegen der Bougainvilleen
gesprochen. Der törichte Gärtner hatte bestätigt, daß sich die ominöse Pflanzenkrankheit
nur an einzelnen Stellen bemerkbar machte, und zwar unmittelbar neben dem Green
beim fünften und beim neunten Loch. Beide Greens befanden sich außer Sichtweite
des Speisesaals und des Clubhauses – und auch vom Ladies’ Garden aus konnte man
sie nicht sehen. Die Bougainvilleen um den Ladies’ Garden herum waren verdächtigerweise
nur an der einzigen Stelle abgestorben, die von den Räumlichkeiten des Clubs aus
nicht einsehbar war. Mr. Sethnas Überzeugung zufolge sprach diese Tatsache für Mrs.
Dogars Pinkeltheorie – der arme alte Mr. Dogar pinkelte wirklich auf die Büsche!
    Der alte Butler
wäre nie auf die Idee gekommen, daß eine Frau – nicht einmal ein so unfeines Mitglied
dieser Spezies wie Mrs. Dogar – der pinkelnde Schuldige sein könnte. Aber die Mörderin
war, was die Vorbereitungen anging, keine Amateurin. Sie hatte die Bougainvilleen
seit Monaten systematisch ruiniert. Einer der vielen Gründe, warum die neue Mrs.
Dogar gern Kleider trug, war der, daß sie es bequem fand, keine Unterwäsche tragen
zu müssen. Das einzige, was Rahul vermißte, seit sie keinen Penis mehr hatte, war
das praktische Pinkeln im Freien. Aber daß sie mit Vorliebe an gewisse, abgelegene
Stellen bei den Bougainvilleen pinkelte, war nicht etwa eine Schrulle, denn sie
hatte bei ihrem eigenartigen Tun stets ihr großes, im Entstehen begriffenes Werk
im Sinn. Schon bevor der unglückliche Mr. Lal sie zufällig [633]  entdeckte, als sie
in den Bougainvilleen in der Nähe jenes fatalen neunten Lochs hockte (das schon
seit langem Mr. Lals Schicksal gewesen war), hatte Rahul seinen Plan ausgeheckt.
    Seit Wochen trug
sie den Zwei-Rupien-Schein mit der ersten getippten Botschaft an die Duckworthianer
– MEHR
MITGLIEDER STERBEN, WENN DHAR MITGLIED BLEIBT – stets in der Handtasche mit sich
herum. Sie war immer davon ausgegangen, daß es am einfachsten sein würde, irgendeinen
Duckworthianer umzubringen, der an einem ihrer abgelegenen Pinkelplätze über sie
stolperte. Sie hatte darauf spekuliert, daß das nachts passieren würde, im Dunkeln.
Und sie hatte sich vorgestellt, daß es ein jüngeres Clubmitglied als Mr. Lal sein
würde, eher jemand, der zuviel Bier getrunken hatte und spätabends noch einen Spaziergang
auf dem Golfplatz machte – genötigt von demselben Bedürfnis, das Mrs. Dogar dorthin
getrieben hatte. Sie hatte sich ausgemalt, daß sie kurz mit ihm flirten würde –
kurze Flirts waren die besten.
    »So? Sie mußten
auch pinkeln? Wenn Sie mir sagen, warum Sie es gern im Freien tun, dann verrate
ich Ihnen auch, warum ich es tue!« Oder vielleicht: »Was tun Sie denn sonst noch
gern im Freien?«
    Mrs. Dogar hatte
sich auch vorgestellt, daß sie sich vielleicht einen Kuß gönnen würde und ein bißchen
Gefummel. Sie fummelte gern. Danach würde sie ihn umbringen, egal, wer es war, und
ihm den Zwei-Rupien-Schein in den Mund stecken. Sie hatte noch nie einen Mann erwürgt,
zweifelte aber nicht daran, daß sie es mit ihren kräftigen Händen schaffte. Frauen
zu erwürgen hatte ihr noch nie Spaß gemacht – nicht annähernd soviel wie die saubere
Wucht eines Schlages mit einem stumpfen Gegenstand –, aber sie freute sich darauf,
einen Mann zu erwürgen, weil sie sehen wollte, ob diese alte Geschichte stimmte…
daß Männer eine Erektion bekommen und ejakulieren, kurz bevor der Tod durch Ersticken
eintritt.
    [634]  Enttäuschenderweise
hatte der alte Mr. Lal Mrs. Dogar weder die Gelegenheit zu einem kurzen Flirt verschafft
noch die Möglichkeit festzustellen, wie das war, einen Mann zu erwürgen. Rahul war
so faul, daß sie sich selten selbst ein Frühstück machte. Obwohl Mr. Dogar offiziell
im Ruhestand war, verließ er zeitig das Haus und ging ins Büro, und Mrs. Dogar gönnte
sich häufig ein frühmorgendliches Pinkeln auf dem Golfplatz – lange bevor sich die
ersten besonders eifrigen Golfspieler auf den Fairways tummelten.

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