Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Bougainvilleen
gefallen sein. Sie hatte sie auch später nicht finden können, erinnerte sich aber,
sie dort in den Bougainvilleensträuchern zum letztenmal in der Hand gehabt zu haben.
Mrs. Dogar vermutete, daß sich die Polizei derzeit den Kopf darüber zerbrach und
mit Hilfe der Witwe Lal inzwischen wahrscheinlich festgestellt hatte, daß diese
Kugelschreiberkappe nicht von Mr. Lal stammte. Möglicherweise gelangte die Polizei
sogar zu der Erkenntnis, daß man bei keinem toten Duckworthianer je einen solchen
Stift finden würde: er war aus echtem Silber, aber das eingravierte Wort INDIA machte ihn zu billigem Plunder.
Rahul hatte ein Faible für Plunder. Und sie genoß es, sich vorzustellen, daß die
Polizei ziellos nach ihr [637]  fahndete, weil sie davon überzeugt war, daß die Kugelschreiberhälfte
nur ein Glied in einer Kette bedeutungsloser Indizien darstellte.
    Eine kleine Tragödie
    Nachdem
Mr. Dogar sich bei Mr. Sethna entschuldigt und seinen Wagen vom Parkplatz des Duckworth
Club geholt hatte, erhielt der alte Butler einen Anruf von Mrs. Dogar. »Ist mein
Mann noch da? Wahrscheinlich nicht. Ich wollte ihn nämlich an etwas erinnern. Er
ist ja so vergeßlich.«
    »Er war da, aber
jetzt ist er fort«, teilte Mr. Sethna ihr mit.
    »Hat er daran gedacht,
unsere Reservierung für den Lunch rückgängig zu machen? Vermutlich nicht. Jedenfalls,
wir kommen nicht«, informierte Rahul den Butler. Mr. Sethna bildete sich viel darauf
ein, daß er die Tischreservierungen für mittags und abends Tag für Tag im Kopf behielt,
und er wußte genau, daß die Dogars nicht reserviert hatten. Doch als er Mrs. Dogar
diesen Sachverhalt mitteilte, überraschte ihn ihre Reaktion. »Ach, der arme Mann!«
rief sie. »Er hat vergessen, die Reservierung rückgängig zu machen, aber gestern
abend war er so betrunken, daß er vergessen hat, überhaupt einen Tisch reservieren
zu lassen. Wahrscheinlich könnte man das komisch finden, wenn es nicht gleichzeitig
so tragisch wäre.«
    »Ich vermute…«,
begann Mr. Sethna, aber Rahul konnte feststellen, daß sie ihr Ziel erreicht hatte.
Eines Tages würde Mr. Sethna ein wichtiger Zeuge für Mr. Dogars extreme Hinfälligkeit
sein. Entsprechende Andeutungen gehörten einfach zur Vorbereitung. Rahul wußte,
daß Mr. Sethna nicht überrascht sein würde, wenn Mr. Dogar eines Tages etwas zustoßen
würde – wenn er entweder einem Mord im Umkleideraum oder einem Mißgeschick im Swimmingpool
zum Opfer fallen würde.
    [638]  In gewisser Weise
war das der interessanteste Teil an einem Mord, fand Rahul. In der Planungsphase
hatte man so viele Alternativen – viel mehr, als man letztendlich in die Tat würde
umsetzen können. Nur in diesem Stadium konnte man mit so vielen Möglichkeiten und
so vielen unterschiedlichen Schlüssen spielen. Letztendlich war dann immer alles
zu schnell vorbei. Denn wenn man saubere Arbeit leisten wollte, durfte man sie nicht
in die Länge ziehen.
    »Der arme Mann!«
wiederholte Mrs. Dogar am Telefon. Der arme Mann, wahrhaftig! dachte Mr. Sethna.
Bei einer Frau wie Mrs. Dogar war es seiner Meinung nach womöglich sogar ein Trost,
sozusagen schon mit einem Bein im Grab zu stehen.
    Der alte Butler
hatte gerade aufgehängt, als Dr. Daruwalla im Club anrief, um zum Lunch einen Tisch
für vier Personen zu bestellen. Er hoffe, meinte er, daß noch niemand seinen Lieblingstisch
im Ladies’ Garden reserviert habe. Es gab ausreichend Platz, aber Mr. Sethna mißbilligte
es, wenn jemand einen Tisch für den Lunch erst am Morgen desselben Tages bestellte.
Verabredungen, die so spontan zustande kamen, sollte man mißtrauen.
    »Sie haben Glück,
ich habe soeben eine Absage erhalten«, informierte der Butler den Doktor.
    »Kann ich den Tisch
um zwölf Uhr haben?« fragte Farrokh.
    »Ein Uhr wäre günstiger«,
ließ Mr. Sethna ihn wissen, weil er es ebenfalls mißbilligte, daß der Doktor seinen
Lunch gern frühzeitig einnahm. Mr. Sethna vertrat die Theorie, daß diese frühe Mittagsmahlzeit
mit ein Grund für des Doktors Übergewicht war. Und bei kleinen Männern machten sich
überschüssige Pfunde ausgesprochen schlecht, fand Mr. Sethna.
    Dr. Daruwalla hatte
gerade aufgelegt, als Dr. Tata ihn zurückrief. Sofort fiel Farrokh wieder ein, was
er ihn hatte fragen wollen.
    »Erinnern Sie sich an Rahul Rai und seine Tante Promila?«
    »Wer würde sich
nicht an die beiden erinnern?« erwiderte Tata Zwo.
    [639]  »Aber hier handelt
es sich um eine medizinische Frage«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher