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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wortlos unter ihr lag. Martin war dankbar, daß er das Gesicht seines
Zimmerkameraden nicht sehen konnte.
    Leise verließ er
die Suite, während seine Mutter Arif weiter drängte abzuspritzen. Auf dem kurzen
Rückweg in die Isabella Street überlegte Martin, ob er Vera dadurch, daß er ihr
Arifs Neigung zum Masturbieren enthüllt hatte, überhaupt erst auf die Idee gebracht
hatte. Wahrscheinlich hatte seine Mutter ohnehin vorgehabt, Arif zu verführen, aber
die Sache mit dem Masturbieren hatte sie sicher noch angespornt.
    Martin Mills hatte
genauso benommen in der Kirche Unserer Lieben Frau der Siegreichen gesessen, wie
er jetzt in St. Ignatius saß und auf den Beginn der Messe wartete. Frater Gabriel
machte sich Sorgen um ihn. Erst die nächtlichen Gebete – »Ich nehme den Truthahn,
ich nehme den Truthahn« –, und nach der Messe dann war der Missionar auf seinem
Polster knien geblieben, als wollte er auf die nächste Messe warten. Genau das hatte [649]  er in der Kirche Unserer Lieben Frau der Siegreichen in der Isabella Street getan;
er hatte auf die nächste Messe gewartet, als hätte eine Messe nicht ausgereicht.
    Und noch etwas beunruhigte
Frater Gabriel: die Blutflecken an den geballten Fäusten des Missionars. Frater
Gabriel ahnte nichts von Martins Nase, weil der Schnitt am Nasenflügel zu bluten
aufgehört hatte und von einem dünnen Schorf fast völlig verdeckt wurde. Frater Gabriel
rätselte, was die blutigen Socken zu bedeuten hatten, die Martin Mills mit beiden
Händen umklammert hielt. Das Blut war zwischen seinen Fingerknöcheln und unter den
Nägeln angetrocknet, und Frater Gabriel befürchtete, es stamme womöglich von den
Handflächen des Missionars. Das fehlt uns gerade noch, damit unser Jubiläumsjahr
ein Erfolg wird, dachte Frater Gabriel – Wundmale!
    Doch später, als
Martin dem morgendlichen Unterricht beiwohnte, schien er sozusagen wieder auf dem
Damm. Im Umgang mit den Schülern war er lebhaft, und gegenüber den anderen Lehrern
verhielt er sich bescheiden, obwohl er im Unterrichten mehr Erfahrung hatte als
die meisten Lehrer der St. Ignatius-Schule. Als der Pater Rektor beobachtete, wie
der neue Scholastiker mit Schülern und Lehrern interagierte, stellte er seine anfänglichen
Befürchtungen, der Amerikaner könnte ein verrückter Glaubenseiferer sein, zeitweilig
hintan. Und Pater Cecil empfand Martin Mills als so angenehm und engagiert, wie
er gehofft hatte.
    Frater Gabriel bewahrte
Stillschweigen über das Truthahn-Gebet und die blutigen Socken. Aber er bemerkte
das gehetzte, geistesabwesende Lächeln, das sich gelegentlich in das Mienenspiel
des Scholastikers stahl. Martin schien von Erinnerungen heimgesucht zu werden, die
möglicherweise von einem der älteren Schüler heraufbeschworen wurden; vielleicht
ließ ihn die glatte, dunkle Haut irgendeines Fünfzehnjährigen an jemanden denken,
den er früher einmal gekannt hatte – jedenfalls [650]  vermutete Frater Gabriel so etwas.
Es war ein unschuldiges, freundliches Lächeln, für Frater Gabriels Empfinden fast
zu freundlich.
    Aber Martin Mills
erinnerte sich einfach nur. Damals im Internat in Fessenden hatte er, am Abend nach
dem langen Thanksgiving-Wochenende, gewartet, bis die Lichter aus waren, bevor er
sagte, was er loswerden wollte.
    »Schänder«, sagte
Martin leise.
    »Was soll das heißen?«
fragte Arif.
    »Ich sagte ›Schänder‹,
wie in Mutterschänder«, sagte Martin.
    »Ist das ein Spiel?«
erkundigte sich Arif nach einer sehr langen Pause.
    »Du weißt genau,
was ich meine, du Mutterschänder«, sagte Martin Mills.
    Nach einer weiteren
langen Pause sagte Arif: »Sie hat mich dazu gezwungen… gewissermaßen.«
    »Wahrscheinlich
kriegst du eine Krankheit«, sagte Martin zu seinem Zimmergenossen. Martin meinte
es im Grunde nicht so und hätte es auch nicht gesagt, wenn er auf die Idee gekommen
wäre, daß sich Arif womöglich in Vera verliebt hatte. Er war überrascht, als sich
Arif in der Dunkelheit auf ihn stürzte und ihn ins Gesicht schlug.
    »Sag so was nie
wieder… über deine Mutter!« schrie der Türke. »Sprich nie wieder so von deiner Mutter!
Sie ist wunderschön!«
    Mr. Weems, der zuständige
Betreuer, machte der Rauferei ein Ende. Keiner der beiden Jungen war verletzt, denn
keiner von ihnen konnte richtig kämpfen. Mr. Weems war ein gütiger Mensch, für hartgesottenere
Jungen völlig unzureichend. Er war Musiklehrer und – im nachhinein läßt sich das
leicht sagen – sehr wahrscheinlich

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