Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
homosexuell, aber niemand stufte ihn so ein (außer
ein paar aufdringlichen Lehrersgattinnen, die zu jener Sorte Frauen gehörten, die
jeden unverheirateten Mann über dreißig für schwul hielten). Mr. Weems war bei den
Jungen recht [651]  beliebt, obwohl er sich nicht an den sportlichen Aktivitäten beteiligte,
die in Fessenden so großgeschrieben wurden. In seinem Bericht an den Disziplinarausschuß
tat er die Auseinandersetzung zwischen Martin und Arif als »Geplänkel« ab. Diese
unglückliche Wortwahl sollte gravierende Folgen haben.
    Als sich später
herausstellte, daß Arif Koma den Tripper hatte – und als er sich weigerte, dem Schularzt
zu sagen, wo er ihn sich eingefangen hatte –, fiel der Verdacht auf Martin Mills.
Das Wort ›Geplänkel‹ hatte den Beigeschmack von einem Streit zwischen Liebesleuten
– zumindest für die betont männlichen Mitglieder des Disziplinarausschusses. Mr.
Weems wurde beauftragt, die Jungen zu fragen, ob sie homosexuell seien und ob sie
»es« getan hätten. Der Betreuer hatte mehr Verständnis für die Vorstellung, daß
Arif und Martin »es« taten, als irgendein sportlich ambitionierter Lehrer.
    »Wenn ihr zwei was
miteinander habt, solltest du auch zum Arzt gehen, Martin«, erklärte Mr. Weems.
    »Sag es ihm!« sagte
Martin zu Arif.
    »Wir haben nichts
miteinander«, sagte Arif.
    »Das stimmt, wir
haben nichts miteinander«, wiederholte Martin. »Komm schon, sag es ihm. Du traust
dich wohl nicht«, sagte Martin zu Arif.
    »Was sollst du mir
sagen?« fragte der Betreuer.
    »Er haßt seine Mutter«,
erklärte Arif Mr. Weems. Mr. Weems, der Vera kennengelernt hatte, konnte das verstehen.
»Er wird Ihnen weismachen wollen, daß ich mir die Krankheit von seiner Mutter geholt
habe, so sehr haßt er sie.«
    »Er hat meine Mutter
gebumst, oder vielmehr, sie hat ihn gebumst«, sagte Martin zu Mr. Weems.
    »Verstehen Sie,
was ich meine?« fragte Arif Koma.
    In den meisten Privatschulen
setzt sich das Personal aus wahrhaft heiligmäßigen Leuten und inkompetenten Scheusalen
zusammen. Martin und Arif hatten das Glück, daß ihr Betreuer [652]  zur heiligen Kategorie
gehörte. Nur meinte es Mr. Weems so gut mit den Jungen, daß er in puncto Verderbtheit
vielleicht noch blinder war als normale Menschen.
    »Bitte, Martin«,
sagte der Betreuer. »Bei einer Krankheit, die durch Geschlechtsverkehr übertragen
wird, sind Lügen fehl am Platz, zumal in einer reinen Jungenschule. Egal, wie du
zu deiner Mutter stehst, wir hoffen auf jeden Fall, die Wahrheit zu erfahren – nicht
um jemanden zu bestrafen, sondern um dir zu helfen. Wie sollen wir dir helfen oder
raten, wenn du dich weigerst, uns die Wahrheit zu sagen?«
    »Meine Mutter hat
ihn gebumst, als sie glaubte, ich sei in der Kirche«, erklärte Martin Mr. Weems.
Mr. Weems schloß die Augen und lächelte; das tat er immer, wenn er zählte, und das
Zählen half ihm, sich in Geduld zu fassen.
    »Ich habe versucht,
dich zu schützen, Martin«, sagte Arif Koma, »aber wie ich sehe, hat es keinen Sinn.«
    »Jungs, ich bitte
euch… einer von euch lügt«, sagte der Betreuer.
    »Also gut, dann
sagen wir es ihm«, sagte Arif zu Martin. »Was meinst du?«
    »Einverstanden«,
antwortete Martin. Ihm war klar, daß er Arif gern hatte; drei Jahre lang war Arif
sein einziger Freund gewesen. Wenn Arif sagen wollte, sie hätten was miteinander
gehabt, warum sollte er dann nicht mitspielen? Es gab niemanden, dem Martin Mills
es so gerne recht machen wollte wie Arif. »Einverstanden«, wiederholte Martin.
    »Einverstanden womit?«
fragte Mr. Weems.
    »Einverstanden,
wir haben was miteinander«, sagte Martin Mills.
    »Ich weiß nicht,
warum er die Krankheit nicht hat«, erklärte Arif. »Eigentlich müßte er sie auch
haben. Vielleicht ist er immun.«
    »Werden wir jetzt
aus der Schule geworfen?« fragte Martin [653]  den Betreuer. Er hoffte es. Vielleicht
wäre das seiner Mutter eine Lehre gewesen. Mit seinen fünfzehn Jahren glaubte Martin
noch immer, man könnte Vera erziehen.
    »Wir haben es ja
auch nur versucht«, sagte Arif. »Gefallen hat es uns nicht.«
    »Wir tun es auch
nie wieder«, fügte Martin hinzu. Das war das erste und letzte Mal, daß er gelogen
hatte. Er fühlte sich benommen, fast wie betrunken.
    »Aber einer von
euch muß sich diese Krankheit von jemand anderem geholt haben«, argumentierte Mr.
Weems. »Ich meine, sie kann nicht hier angefangen haben, bei euch beiden… nicht
wenn keiner von euch einen anderen sexuellen Kontakt

Weitere Kostenlose Bücher