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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gehabt hat.«
    Martin Mills wußte,
daß Arif Vera angerufen hatte und daß sie sich geweigert hatte, mit ihm zu reden.
Er wußte, daß Arif seiner Mutter auch geschrieben hatte – und daß sie ihm nicht
geantwortet hatte. Aber erst jetzt wurde Martin klar, wie weit sein Freund gehen
würde, um Vera zu schützen. Er mußte völlig verrückt nach ihr sein.
    »Ich war bei einer
Prostituierten. Ich habe mir diese Krankheit bei einer Hure eingefangen«, erklärte
Arif Mr. Weems.
    »Wo willst du denn
an eine Hure herangekommen sein, Arif?« fragte der Betreuer.
    »Sie kennen Boston
wohl nicht?« fragte ihn Arif Koma. »Ich habe mit Martin und seiner Mutter im Ritz
gewohnt. Als die beiden schliefen, habe ich mich aus dem Hotel geschlichen. Ich
habe den Portier gebeten, mir ein Taxi zu besorgen, und den Taxifahrer habe ich
gebeten, mir eine Nutte zu besorgen. In New York funktioniert das genauso«, erklärte
Arif. »Oder jedenfalls ist das der einzige Weg, der mir bekannt ist.«
    Und so kam es, daß
Arif Koma aus Fessenden hinausgeworfen wurde, weil er sich von einer Hure eine Geschlechtskrankheit
geholt hatte. In den Schulstatuten gab es einen Passus, der [654]  besagte, daß moralisch
tadelnswerter Umgang mit Frauen oder Mädchen mit Entlassung zu bestrafen sei. Unter
Berufung auf diese Bestimmung verwies der Disziplinarausschuß (trotz Mr. Weems’
heftigem Protest) Arif von der Schule. Er gelangte zu dem Urteil, daß Sex mit einer
Prostituierten eindeutig in die Kategorie »moralisch tadelnswerter Umgang mit Frauen
oder Mädchen« fiel.
    Was Martin betraf,
so setzte sich Mr. Weems auch für ihn ein. Sein homosexuelles Erlebnis war ein sexuelles
Experiment gewesen und damit ein Einzelfall, den man auf sich beruhen lassen sollte.
Aber der Disziplinarausschuß bestand darauf, Vera und Danny zu informieren. Veras
erste Reaktion bestand darin, daß sie wiederholte, für Jungen in Martins Alter sei
Masturbieren einfach besser. Martin sagte zu seiner Mutter – natürlich nicht in
Dannys Hörweite – lediglich: »Arif Koma hat den Tripper, und du auch.«
    Martin blieb kaum
Zeit, mit Arif zu reden, bevor dieser nach Hause geschickt wurde. Zum Abschied sagte
Martin zu seinem türkischen Zimmergenossen: »Du darfst dir nicht selber schaden,
nur um meine Mutter zu schützen.«
    »Aber ich mag auch
deinen Vater«, erklärte Arif. Wieder einmal war Vera einfach so davongekommen, nur
weil niemand Danny verletzen wollte.
    Der größere Schock
war Arifs Selbstmord. Der Abschiedsbrief an Martin lag erst zwei Tage, nachdem Arif
aus einem Fenster der elterlichen Wohnung im zehnten Stock in der Park Avenue gesprungen
war, in dessen Postfach in Fessenden. Habe meine Familie entehrt – das war alles. Martin mußte daran
denken, daß Arif, nur um seine Eltern nicht zu entehren und zu vermeiden, daß ein
Schatten auf den Ruf seiner Familie fiel, bei seiner Beschneidung keine Träne vergossen
hatte.
    Vera ließ sich die
Schuld an Arifs Tod nicht in die Schuhe schieben. Sobald sie mit Martin allein war,
sagte sie: »Versuch [655]  bloß nicht, mir einzureden, daß es meine Schuld ist, mein
Lieber. Du hast mir erzählt, daß er gestört ist – sexuell gestört. Das hast du selbst
gesagt. Außerdem würdest du doch nichts tun, was deinen Vater verletzen würde, oder?«
    Tatsächlich hatte
es Danny ziemlich hart getroffen, als er erfuhr, daß sich sein Sohn auf ein homosexuelles
Erlebnis eingelassen hatte, wenn auch nur ein einziges Mal. Martin versicherte seinem
Vater, daß er es nur ausprobiert und daß es ihm nicht gefallen habe. Trotzdem war
ihm klar, daß Dannys einziger Eindruck vom Sexualleben seines Sohnes der war, daß
Martin mit seinem türkischen Zimmergenossen gevögelt hatte, als beide Jungen erst
fünfzehn Jahre alt waren. Es kam Martin Mills gar nicht in den Sinn, daß die Wahrheit
über sein Sexualleben für Danny womöglich noch schmerzhafter gewesen wäre – nämlich
daß sein Sohn eine 39jährige Jungfrau war, die niemals auch nur masturbiert hatte.
Ebensowenig war Martin auf den Gedanken gekommen, daß er vielleicht wirklich in
Arif Koma verliebt gewesen sein könnte. Das wäre sicher plausibler und vor allem
eher gerechtfertigt gewesen, als daß Arif sich in Vera verliebte.
    Dr. Daruwalla war
dabei, einen Missionar namens Mr. Martin zu »erfinden«. Als Drehbuchautor wußte
er, daß er Mr. Martins Entscheidung, Priester zu werden, irgendwie motivieren mußte,
denn seiner Ansicht nach bedurfte ein Keuschheitsgelübde

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